Es gibt Tage, da bin ich froh, nicht mehr auf Facebook und/oder Twitter unterwegs zu sein. Heute ist so ein Tag. Mir reicht, was ich andernorts zu der furchtbaren Tat von Hanau lesen und hören kann.
Heute könnte indes der Wendepunkt im politisch bisher weitgehend erfolglosen Kampf gegen die AfD werden. Deren verzweifeltes Bemühen, den Täter als nicht rechtsextrem hinzustellen, sondern als psychotischen Irren, wird nicht verfangen.
Denn auch wenn der Mann nach den vorliegenden Informationen schwer einen an der Waffel hatte, so ist der Mord an diesen Menschen vor allem eines: rassistisch motiviert. [1]Ob dies eine im engeren Sinn politische Tat war oder möglicherweise doch eher ihren Ursprung in der (mehrfach?) erlebten Kränkung einer narzisstischen Persönlichkeit hatte, wage ich nicht zu … Weiterlesen … Wer davor die Augen verschließt, will die Wahrheit nicht sehen und verfolgt eine ganz andere Agenda. Womit wir wieder bei der AfD und anderen Scharfmachern wären.
Wer der Meinung ist, dass »die Existenz gewisser Volksgruppen an sich ein grundsätzlicher Fehler ist«, ist ohne Zweifel Rassist – Lattenschuss hin oder her.
»Daher sagte ich, dass folgende Völker komplett vernichtet werden müssen: Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, Israel, Syrien, Jordanien, Libanon, die komplette saudische Halbinsel, die Türkei, Irak, Iran, Kasachstan, Turkmekistan, Usbekistan, Indien, Pakistan, Afghanistan, Bangladesh, Vietnam, Laos, Kambodscha bis hin zu den Philippinen. Und dies wäre erst die Grob-Säuberung. Danach muss die Fein-Säuberung kommen, diese betrifft die restlichen afrikanischen Staaten, Süd- und Mittelamerika, die Karibik und natürlich das eigene Volk. Wobei ich anmerkte, dass nicht jeder der heute einen deutschen Pass besitzt reinrassig und wertvoll ist; eine Halbierung der Bevölkerungszahl kann ich mir vorstellen.« Tobias R.
Zu hoffen wäre, dass dieser Tag noch mehr Menschen die Augen öffnet, wohin es führt, wenn man die Parolen der Hetzer und Demokratiefeinde glaubt, sie verbreitet und den Brunnenvergiftern seine Stimme gibt.
Deren durch die üblichen Resonanzböden verstärkte Propaganda kann nur dort auf fruchtbaren Boden fallen, wo soziale Strukturen brüchig sind, wo menschliche Kommunikation durch Gefasel und Geschrei in »sozialen Netzwerken« ersetzt wird, in denen sich Menschen aufmunitionieren und radikalisieren, wo prekäre Verhältnisse sehenden Auges noch prekärer gemacht werden. Kampf gegen Rassismus ist eine Alltagsaufgabe, nicht nur eine »der Politiker«.
Gewerkschaften spielen heute keine besonders große Rolle mehr. Das hat Folgen über ihren eigentlichen Wirkungskreis hinaus – wie man sieht. Die gesellschaftliche Entsolidarisierung, verkleidet als »geistig-moralische Wende«, begonnen in den bleiernen Kohl-Jahren, wirkt nach und hat den Boden bereitet für das, was wir heute erleben. Damals waren es Gewerkschafter, die als erste beginnenden Rassismus entschieden bekämpft haben. Und es gab noch eine vergleichsweise schlagkräftige sozialdemokratische Partei in Deutschland.
Die damalige Kampagne »Mach meinen Kumpel nicht an!« habe ich noch gut in Erinnerung.[2]Den Verein gibt es immer noch. Damals stellten sich nicht nur Politiker und Gewerkschafter in den Dienst der Sache, sondern auch viele Prominente – wie der leider verstorbene Götz George (»Tatort«-Kommissar Horst Schimanski). Vielleicht brauchen wir wieder eine deutlich sichtbare »gelbe Hand« in Deutschland.
Konkret zu Hanau: Ich traute meinen Ohren kaum, als es im Radio hieß, der spätere Täter habe bereits früher bei Behörden vorgesprochen, um sie auf die Steuerung der Bundesrepublik durch geheime fremde Mächte hinzuweisen. Klingt gaga. Ist es auch. [3]Im Radio war von der Polizei die Rede. T‑Online spricht von der Bundesanwaltschaft. Und im nächsten Satz gab es die Information, dass er als Sportschütze nicht nur legal Zugang zu scharfen Waffen hatte – also auf dem Schießstand -, sondern sie offensichtlich auch führen durfte/konnte. Wie bitte?
Der rechtsextreme Attentäter von Halle, bei dessen Angriff die schwere Tür der Synagoge das Schlimmste verhinderte, hatte sich seine Waffen noch selbst zusammenbasteln müssen.
Junge, Junge – ich möchte nicht in der Haut der Beamten stecken, die den (wirren) Hinweis des späteren Hanauer Todesschützen nicht ernstgenommen und offenbar rein gar nichts unternommen haben. Hat da jemand »Behördenversagen« gesagt?
Und wie eigentlich immer an den Tagen nach solchen Taten ist Suppentag in Deutschland. Da werden viele Süppchen gekocht. Die Antifa-Maschine läuft dröhnend auf Hochtouren. Die Rechtsextremen behaupten zynisch, Merkels Flüchtlingspolitik sei schuld. Und mancher »Sicherheitspolitiker« nutzt skrupellos die Gelegenheit, die Erosion von Bürger- und Freiheitsrechten voranzutreiben – im Sinne des Berliner Kabinettsbeschlusses, gefasst merkwürdigerweise genau am Tattag. Also alles wie immer.
Vom Zivi zum Mörder, der Vater aktiv bei den Grünen – da finden sich in der Geschichte rund um die Hanauer schon einige Merkwürdigkeiten. Eine klassisch rechtsradikale Sozialisation sieht anders aus.
Dazu, wie der Täter tickte, lässt sich einiges finden, wenn man sich ein wenig Mühe gibt. Von dem oft erwähnten Video gibt es übrigens zwei Fassungen – eine in gutem Englisch und eine in Deutsch. Sie sind offenbar zu verschiedenen Zeiten entstanden. Einmal trägt Tobias R. Anzug und Hemd, einmal Pullover und T‑Shirt.
Manches in dem umfangreichen »Manifest« des Täters ist echt skurril. Etwa:
»Ich begann also z.B. eine Strategie für den DFB zu entwickeln, um wieder Turniere gewinnen zu können. Hinsichtlich Details möchte ich wieder auf meinen schriftlichen Nachlass verweisen.«
Mit den Anschlägen auf das World Trade Center 2001 glaubte sich Tobias R. mindestens eng verbunden:
»Während des Sommersemesters, als ich in der Wohnung mit den vermuteten Zuhörern sprach, sagte ich unter anderem, dass dieser Umstand, dass ich überwacht werde – ich deute bereits an, dass ich beabsichtige mich dagegen entsprechend zur Wehr zu setzen – zur Not würde ich mit einem Flugzeug in ein Gebäude fliegen, um die entsprechende Aufmerksamkeit zu erringen – in die Weltgeschichte eingehen wird und einmal Hollywood-Filme nach mir gedreht werden würden. Wie richtig ich damals beim Aussprechen dieser Worte lag, wurde mir erst später klar. Denn nicht nur nach dem 11. September 2001 wurden Filme aufgrund meiner Inspiration gedreht, sondern die Hollywood-Connection bestand bereits vorher.«
Von der Kontrolle bzw. Steuerung der Welt durch einen nicht näher bemannten Geheimdienst will Tobias R. den Behörden mehrfach berichtet habe, ohne Gehör zu finden.
»Im Herbst 2004 stellte ich erneut Anzeige, diesmal in einer anderen Polizeidienststelle und wurde wieder abgewiesen. Im Jahr 2019 unternahm ich nun den dritten und letzten Anlauf. Ich habe mich an verschiedene Privatermittler gewendet und zwei Anzeigen, einmal bei der Staatsanwaltschaft in Hanau und einmal beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe, eingereicht.«
So nahm er letztlich die Sache selbst in die Hand. Und machte seine Drohung aus dem verstörenden (deutschen) Video [4]Inzwischen nicht mehr auf YT zu finden. [5]Es gibt zwei Videos: ein kürzeres englisches, knapp 1.5 Minuten lang, und eine längere deutsche Fassung von mehr als 9 Minuten wahr: »Ich glaube nicht, dass die Leute, die heute lachen, auch in Zukunft noch lachen werden.«
Anmerkungen
↑1 | Ob dies eine im engeren Sinn politische Tat war oder möglicherweise doch eher ihren Ursprung in der (mehrfach?) erlebten Kränkung einer narzisstischen Persönlichkeit hatte, wage ich nicht zu beurteilen. Wahrscheinlich von allem was. Im Ergebnis ändert das sowieso nichts. Aber die beiden Täter-Videos und das Manifest mit seinen Anhängen lassen nicht den geringsten Zweifel daran, dass der Täter ein ernsthaftes psychisches Problem oder deren mehrere hatte. |
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↑2 | Den Verein gibt es immer noch. |
↑3 | Im Radio war von der Polizei die Rede. T‑Online spricht von der Bundesanwaltschaft. |
↑4 | Inzwischen nicht mehr auf YT zu finden. |
↑5 | Es gibt zwei Videos: ein kürzeres englisches, knapp 1.5 Minuten lang, und eine längere deutsche Fassung von mehr als 9 Minuten |