Die Tat von Tobias R. und die Folgen

Tobias R. - Mörder mit Ordnungsliebe. Die Regale im Hintergrund links finde ich geradezu surreal. Hier erläuert er den Amerikanern seine Visionen.
Tobi­as R. – Mör­der mit Ord­nungs­lie­be. Die Rega­le im Hin­ter­grund links fin­de ich gera­de­zu sur­re­al. Hier erläu­tert er den Ame­ri­ka­nern sei­ne Visionen.

Es gibt Tage, da bin ich froh, nicht mehr auf Face­book und/oder Twit­ter unter­wegs zu sein. Heu­te ist so ein Tag. Mir reicht, was ich andern­orts zu der furcht­ba­ren Tat von Hanau lesen und hören kann.

Heu­te könn­te indes der Wen­de­punkt im poli­tisch bis­her weit­ge­hend erfolg­lo­sen Kampf gegen die AfD wer­den. Deren ver­zwei­fel­tes Bemü­hen, den Täter als nicht rechts­extrem hin­zu­stel­len, son­dern als psy­cho­ti­schen Irren, wird nicht verfangen.

Denn auch wenn der Mann nach den vor­lie­gen­den Infor­ma­tio­nen schwer einen an der Waf­fel hat­te, so ist der Mord an die­sen Men­schen vor allem eines: ras­sis­tisch moti­viert. [1]Ob dies eine im enge­ren Sinn poli­ti­sche Tat war oder mög­li­cher­wei­se doch eher ihren Ursprung in der (mehr­fach?) erleb­ten Krän­kung einer nar­ziss­ti­schen Per­sön­lich­keit hat­te, wage ich nicht zu … Wei­ter­le­sen … Wer davor die Augen ver­schließt, will die Wahr­heit nicht sehen und ver­folgt eine ganz ande­re Agen­da. Womit wir wie­der bei der AfD und ande­ren Scharf­ma­chern wären.

Wer der Mei­nung ist, dass »die Exis­tenz gewis­ser Volks­grup­pen an sich ein grund­sätz­li­cher Feh­ler ist«, ist ohne Zwei­fel Ras­sist – Lat­ten­schuss hin oder her.

»Daher sag­te ich, dass fol­gen­de Völ­ker kom­plett ver­nich­tet wer­den müs­sen: Marok­ko, Alge­ri­en, Tune­si­en, Liby­en, Ägyp­ten, Isra­el, Syri­en, Jor­da­ni­en, Liba­non, die kom­plet­te sau­di­sche Halb­in­sel, die Tür­kei, Irak, Iran, Kasach­stan, Turk­me­ki­stan, Usbe­ki­stan, Indi­en, Paki­stan, Afgha­ni­stan, Ban­gla­desh, Viet­nam, Laos, Kam­bo­dscha bis hin zu den Phil­ip­pi­nen. Und dies wäre erst die Grob-Säu­be­rung. Danach muss die Fein-Säu­be­rung kom­men, die­se betrifft die rest­li­chen afri­ka­ni­schen Staa­ten, Süd- und Mit­tel­ame­ri­ka, die Kari­bik und natür­lich das eige­ne Volk. Wobei ich anmerk­te, dass nicht jeder der heu­te einen deut­schen Pass besitzt rein­ras­sig und wert­voll ist; eine Hal­bie­rung der Bevöl­ke­rungs­zahl kann ich mir vor­stel­len.« Tobi­as R.

Zu hof­fen wäre, dass die­ser Tag noch mehr Men­schen die Augen öff­net, wohin es führt, wenn man die Paro­len der Het­zer und Demo­kra­tie­fein­de glaubt, sie ver­brei­tet und den Brun­nen­ver­gif­tern sei­ne Stim­me gibt.

Deren durch die übli­chen Reso­nanz­bö­den ver­stärk­te Pro­pa­gan­da kann nur dort auf frucht­ba­ren Boden fal­len, wo sozia­le Struk­tu­ren brü­chig sind, wo mensch­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on durch Gefa­sel und Geschrei in »sozia­len Netz­wer­ken« ersetzt wird, in denen sich Men­schen auf­mu­ni­tio­nie­ren und radi­ka­li­sie­ren, wo pre­kä­re Ver­hält­nis­se sehen­den Auges noch pre­kä­rer gemacht wer­den. Kampf gegen Ras­sis­mus ist eine All­tags­auf­ga­be, nicht nur eine »der Politiker«.

Gewerk­schaf­ten spie­len heu­te kei­ne beson­ders gro­ße Rol­le mehr. Das hat Fol­gen über ihren eigent­li­chen Wir­kungs­kreis hin­aus – wie man sieht. Die gesell­schaft­li­che Ent­so­li­da­ri­sie­rung, ver­klei­det als »geis­tig-mora­li­sche Wen­de«, begon­nen in den blei­er­nen Kohl-Jah­ren, wirkt nach und hat den Boden berei­tet für das, was wir heu­te erle­ben. Damals waren es Gewerk­schaf­ter, die als ers­te begin­nen­den Ras­sis­mus ent­schie­den bekämpft haben. Und es gab noch eine ver­gleichs­wei­se schlag­kräf­ti­ge sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Par­tei in Deutschland.

Auch Schimanski hob - im "Tatort" "Gerochene Blüten" 1988 die gelbe Hand gegen Fremdenfeindlichkeit.
Auch Horst Schi­man­ski hob – im »Tat­ort« »Gebro­che­ne Blü­ten« 1988 die gel­be Hand gegen Fremdenfeindlichkeit.

Die dama­li­ge Kam­pa­gne »Mach mei­nen Kum­pel nicht an!« habe ich noch gut in Erin­ne­rung.[2]Den Ver­ein gibt es immer noch. Damals stell­ten sich nicht nur Poli­ti­ker und Gewerk­schaf­ter in den Dienst der Sache, son­dern auch vie­le Pro­mi­nen­te – wie der lei­der ver­stor­be­ne Götz Geor­ge (»Tatort«-Kommissar Horst Schi­man­ski). Viel­leicht brau­chen wir wie­der eine deut­lich sicht­ba­re »gel­be Hand« in Deutschland.

Kon­kret zu Hanau: Ich trau­te mei­nen Ohren kaum, als es im Radio hieß, der spä­te­re Täter habe bereits frü­her bei Behör­den vor­ge­spro­chen, um sie auf die Steue­rung der Bun­des­re­pu­blik durch gehei­me frem­de Mäch­te hin­zu­wei­sen. Klingt gaga. Ist es auch. [3]Im Radio war von der Poli­zei die Rede. T‑Online spricht von der Bun­des­an­walt­schaft. Und im nächs­ten Satz gab es die Infor­ma­ti­on, dass er als Sport­schüt­ze nicht nur legal Zugang zu schar­fen Waf­fen hat­te – also auf dem Schieß­stand -, son­dern sie offen­sicht­lich auch füh­ren durfte/konnte. Wie bitte?

Der rechts­extre­me Atten­tä­ter von Hal­le, bei des­sen Angriff die schwe­re Tür der Syn­ago­ge das Schlimms­te ver­hin­der­te, hat­te sich sei­ne Waf­fen noch selbst zusam­men­bas­teln müssen.

Jun­ge, Jun­ge – ich möch­te nicht in der Haut der Beam­ten ste­cken, die den (wir­ren) Hin­weis des spä­te­ren Hanau­er Todes­schüt­zen nicht ernst­ge­nom­men und offen­bar rein gar nichts unter­nom­men haben. Hat da jemand »Behör­den­ver­sa­gen« gesagt?

Und wie eigent­lich immer an den Tagen nach sol­chen Taten ist Sup­pen­tag in Deutsch­land. Da wer­den vie­le Süpp­chen gekocht. Die Anti­fa-Maschi­ne läuft dröh­nend auf Hoch­tou­ren. Die Rechts­extre­men behaup­ten zynisch, Mer­kels Flücht­lings­po­li­tik sei schuld. Und man­cher »Sicher­heits­po­li­ti­ker« nutzt skru­pel­los die Gele­gen­heit, die Ero­si­on von Bür­ger- und Frei­heits­rech­ten vor­an­zu­trei­ben – im Sin­ne des Ber­li­ner Kabi­netts­be­schlus­ses, gefasst merk­wür­di­ger­wei­se genau am Tat­tag. Also alles wie immer.

Vom Zivi zum Mör­der, der Vater aktiv bei den Grü­nen – da fin­den sich in der Geschich­te rund um die Hanau­er schon eini­ge Merk­wür­dig­kei­ten. Eine klas­sisch rechts­ra­di­ka­le Sozia­li­sa­ti­on sieht anders aus.

Dazu, wie der Täter tick­te, lässt sich eini­ges fin­den, wenn man sich ein wenig Mühe gibt. Von dem oft erwähn­ten Video gibt es übri­gens zwei Fas­sun­gen – eine in gutem Eng­lisch und eine in Deutsch. Sie sind offen­bar zu ver­schie­de­nen Zei­ten ent­stan­den. Ein­mal trägt Tobi­as R. Anzug und Hemd, ein­mal Pull­over und T‑Shirt.

Illus­tra­ti­on aus dem Mani­fest des Täters. Emp­feh­lung für die Nationalmannschaft.

Man­ches in dem umfang­rei­chen »Mani­fest« des Täters ist echt skur­ril. Etwa:

»Ich begann also z.B. eine Stra­te­gie für den DFB zu ent­wi­ckeln, um wie­der Tur­nie­re gewin­nen zu kön­nen. Hin­sicht­lich Details möch­te ich wie­der auf mei­nen schrift­li­chen Nach­lass verweisen.«

Mit den Anschlä­gen auf das World Trade Cen­ter 2001 glaub­te sich Tobi­as R. min­des­tens eng verbunden:

»Wäh­rend des Som­mer­se­mes­ters, als ich in der Woh­nung mit den ver­mu­te­ten Zuhö­rern sprach, sag­te ich unter ande­rem, dass die­ser Umstand, dass ich über­wacht wer­de – ich deu­te bereits an, dass ich beab­sich­ti­ge mich dage­gen ent­spre­chend zur Wehr zu set­zen – zur Not wür­de ich mit einem Flug­zeug in ein Gebäu­de flie­gen, um die ent­spre­chen­de Auf­merk­sam­keit zu errin­gen – in die Welt­ge­schich­te ein­ge­hen wird und ein­mal Hol­ly­wood-Fil­me nach mir gedreht wer­den wür­den. Wie rich­tig ich damals beim Aus­spre­chen die­ser Wor­te lag, wur­de mir erst spä­ter klar. Denn nicht nur nach dem 11. Sep­tem­ber 2001 wur­den Fil­me auf­grund mei­ner Inspi­ra­ti­on gedreht, son­dern die Hol­ly­wood-Con­nec­tion bestand bereits vorher.«

Von der Kon­trol­le bzw. Steue­rung der Welt durch einen nicht näher bemann­ten Geheim­dienst will Tobi­as R. den Behör­den mehr­fach berich­tet habe, ohne Gehör zu finden.

»Im Herbst 2004 stell­te ich erneut Anzei­ge, dies­mal in einer ande­ren Poli­zei­dienst­stel­le und wur­de wie­der abge­wie­sen. Im Jahr 2019 unter­nahm ich nun den drit­ten und letz­ten Anlauf. Ich habe mich an ver­schie­de­ne Pri­va­termitt­ler gewen­det und zwei Anzei­gen, ein­mal bei der Staats­an­walt­schaft in Hanau und ein­mal beim Gene­ral­bun­des­an­walt in Karls­ru­he, eingereicht.«

So nahm er letzt­lich die Sache selbst in die Hand. Und mach­te sei­ne Dro­hung aus dem ver­stö­ren­den (deut­schen) Video [4]Inzwi­schen nicht mehr auf YT zu fin­den. [5]Es gibt zwei Vide­os: ein kür­ze­res eng­li­sches, knapp 1.5 Minu­ten lang, und eine län­ge­re deut­sche Fas­sung von mehr als 9 Minu­ten wahr: »Ich glau­be nicht, dass die Leu­te, die heu­te lachen, auch in Zukunft noch lachen werden.«

Anmer­kun­gen

Anmer­kun­gen
1 Ob dies eine im enge­ren Sinn poli­ti­sche Tat war oder mög­li­cher­wei­se doch eher ihren Ursprung in der (mehr­fach?) erleb­ten Krän­kung einer nar­ziss­ti­schen Per­sön­lich­keit hat­te, wage ich nicht zu beur­tei­len. Wahr­schein­lich von allem was. Im Ergeb­nis ändert das sowie­so nichts. Aber die bei­den Täter-Vide­os und das Mani­fest mit sei­nen Anhän­gen las­sen nicht den gerings­ten Zwei­fel dar­an, dass der Täter ein ernst­haf­tes psy­chi­sches Pro­blem oder deren meh­re­re hatte.
2 Den Ver­ein gibt es immer noch.
3 Im Radio war von der Poli­zei die Rede. T‑Online spricht von der Bundesanwaltschaft.
4 Inzwi­schen nicht mehr auf YT zu finden.
5 Es gibt zwei Vide­os: ein kür­ze­res eng­li­sches, knapp 1.5 Minu­ten lang, und eine län­ge­re deut­sche Fas­sung von mehr als 9 Minuten

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