Ein Krieg, der zu verhindern gewesen wäre

Interview mit General a. D. Harald Kujat [1]Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion von Zeitgeschehen im Fokus. Das Gespräch führte Thomas Kaiser für Zeitgeschehen im Fokus.


Harald Kujat, frü­he­rer Gene­ral der Lufwaffe.

»Jetzt wäre der rich­ti­ge Zeit­punkt, die abge­bro­che­nen Ver­hand­lun­gen wie­der aufzunehmen«

Zeit­ge­sche­hen im Fokus Wel­chen Wert geben Sie der Bericht­erstat­tung über die Ukrai­ne in unse­ren Mainstream-Medien?

Gene­ral a. D. Harald Kujat: Der Ukrai­ne­krieg ist nicht nur eine mili­tä­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zung; er ist auch ein Wirt­schafts- und ein Infor­ma­ti­ons­krieg. In die­sem Infor­ma­ti­ons­krieg kann man zu einem Kriegs­teil­neh­mer wer­den, wenn man sich Infor­ma­tio­nen und Argu­men­te zu eigen macht, die man weder veri­fi­zie­ren noch auf­grund eige­ner Kom­pe­tenz beur­tei­len kann. Zum Teil spie­len auch als mora­lisch ver­stan­de­ne oder ideo­lo­gi­sche Moti­ve eine Rol­le. Das ist in Deutsch­land beson­ders pro­ble­ma­tisch, weil in den Medi­en über­wie­gend »Exper­ten« zu Wort kom­men, die über kei­ne sicher­heits­po­li­ti­schen und stra­te­gi­schen Kennt­nis­se und Erfah­run­gen ver­fü­gen und des­halb Mei­nun­gen äußern, die sie aus Ver­öf­fent­li­chun­gen ande­rer »Exper­ten« mit ver­gleich­ba­rer Sach­kennt­nis bezie­hen. Offen­sicht­lich wird damit auch poli­ti­scher Druck auf die Bun­des­re­gie­rung auf­ge­baut. Die Debat­te über die Lie­fe­rung bestimm­ter Waf­fen­sys­te­me zeigt über­deut­lich die Absicht vie­ler Medi­en, selbst Poli­tik zu machen. Es mag sein, dass mein Unbe­ha­gen über die­se Ent­wick­lung eine Fol­ge mei­nes lang­jäh­ri­gen Diens­tes in der NATO ist, unter ande­rem als Vor­sit­zen­der des NATO-Russ­land-Rats und der NATO-Ukrai­ne-Kom­mis­si­on der Gene­ral­stabs­chefs. Beson­ders ärger­lich fin­de ich, dass die deut­schen Sicher­heits­in­ter­es­sen und die Gefah­ren für unser Land durch eine Aus­wei­tung und Eska­la­ti­on des Krie­ges so wenig beach­tet wer­den. Das zeugt von einem Man­gel an Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein oder, um einen alt­mo­di­schen Begriff zu ver­wen­den, von einer höchst unpa­trio­ti­schen Hal­tung. In den Ver­ei­nig­ten Staa­ten, einem der bei­den Haupt­ak­teu­re in die­sem Kon­flikt, ist der Umgang mit dem Ukrai­ne­krieg wesent­lich dif­fe­ren­zier­ter und kon­tro­ver­ser, gleich­wohl aber immer von natio­na­len Inter­es­sen geleitet.

Harald Kujat

Der Gene­ral a.D., gebo­ren am 1. März 1942, war u. a. Gene­ral­inspek­teur der Bun­des­wehr und als Vor­sit­zen­der des Nato-Mili­tär­aus­schus­ses höchs­ter Mili­tär der Nato. Zugleich amte­te er als Vor­sit­zen­der des Nato-Russ­land-Rates sowie des Euro-Atlan­ti­schen-Part­ner­schafts­ra­tes der Gene­ral­stabs­chefs. Für sei­ne Ver­diens­te wur­de Harald Kujat mit einer gros­sen Zahl von Aus­zeich­nun­gen geehrt, dar­un­ter mit dem Kom­man­deurs­kreuz der Ehren­le­gi­on der Repu­blik Frank­reich, dem Kom­man­deurs­kreuz des Ver­dienst­or­dens Lett­lands, Est­lands und Polens, der Legi­on of Merit der Ver­ei­nig­ten Staa­ten, dem Gros­sen Band des Leo­pold­or­dens des König­reichs Bel­gi­en, dem Gros­sen Bun­des­ver­dienst­kreuz, sowie mit wei­te­ren hohen Aus­zeich­nun­gen, u.a. aus Mal­ta, Ungarn und der Nato.


Sie haben sich Anfang 2022, als die Lage an der Gren­ze zur Ukrai­ne immer zuge­spitz­ter wur­de, zum dama­li­gen Inspek­teur der Mari­ne, Vize­ad­mi­ral Kay-Achim Schön­bach, geäu­ßert und sich im gewis­sen Sin­ne hin­ter ihn gestellt. Er warn­te ein­dring­lich vor einer Eska­la­ti­on mit Russ­land und mach­te dem Wes­ten den Vor­wurf, er hät­te Putin gede­mü­tigt, und man müs­se auf glei­cher Augen­hö­he mit ihm verhandeln.

Ich habe mich nicht in der Sache geäu­ßert, son­dern um ihn vor unqua­li­fi­zier­ten Angrif­fen in Schutz zu neh­men. Ich war aller­dings immer der Ansicht, dass man die­sen Krieg ver­hin­dern muss und dass man ihn auch hät­te ver­hin­dern kön­nen. Dazu habe ich mich im Dezem­ber 2021 auch öffent­lich geäu­ßert. Und Anfang Janu­ar 2022 habe ich Vor­schlä­ge ver­öf­fent­licht, wie in Ver­hand­lun­gen ein für alle Sei­ten akzep­ta­bles Ergeb­nis erzielt wer­den könn­te, mit dem ein Krieg doch noch ver­mie­den wird. Lei­der ist es anders gekom­men. Viel­leicht wird ein­mal die Fra­ge gestellt, wer die­sen Krieg woll­te, wer ihn nicht ver­hin­dern woll­te und wer ihn nicht ver­hin­dern konnte.

Wie schät­zen Sie die momen­ta­ne Ent­wick­lung in der Ukrai­ne ein?

Je län­ger der Krieg dau­ert, des­to schwie­ri­ger wird es, einen Ver­hand­lungs­frie­den zu erzie­len. Die rus­si­sche Anne­xi­on von vier ukrai­ni­schen Gebie­ten am 30. Sep­tem­ber 2022 ist ein Bei­spiel für eine Ent­wick­lung, die nur schwer rück­gän­gig gemacht wer­den kann. Des­halb fand ich es so bedau­er­lich, dass die Ver­hand­lun­gen, die im März in Istan­bul geführt wur­den, nach gro­ßen Fort­schrit­ten und einem durch­aus posi­ti­ven Ergeb­nis für die Ukrai­ne abge­bro­chen wur­den. Russ­land hat­te sich in den Istan­bul-Ver­hand­lun­gen offen­sicht­lich dazu bereit erklärt, sei­ne Streit­kräf­te auf den Stand vom 23. Febru­ar zurück­zu­zie­hen, also vor Beginn des Angriffs auf die Ukrai­ne. Jetzt wird immer wie­der der voll­stän­di­ge Abzug als Vor­aus­set­zung für Ver­hand­lun­gen gefordert.

Was hat denn die Ukrai­ne als Gegen­leis­tung angeboten?

Die Ukrai­ne hat­te sich ver­pflich­tet, auf eine NATO-Mit­glied­schaft zu ver­zich­ten und kei­ne Sta­tio­nie­rung aus­län­di­scher Trup­pen oder mili­tä­ri­scher Ein­rich­tun­gen zuzu­las­sen. Dafür soll­te sie Sicher­heits­ga­ran­tien von Staa­ten ihrer Wahl erhal­ten. Die Zukunft der besetz­ten Gebie­te soll­te inner­halb von 15 Jah­ren diplo­ma­tisch, unter aus­drück­li­chem Ver­zicht auf mili­tä­ri­sche Gewalt gelöst werden.

Wie London einen Friedensplan verhinderte

War­um kam der Ver­trag nicht zustan­de, der Zehn­tau­sen­den das Leben geret­tet und den Ukrai­nern die Zer­stö­rung ihres Lan­des erspart hätte?

Nach zuver­läs­si­gen Infor­ma­tio­nen hat der dama­li­ge bri­ti­sche Pre­mier­mi­nis­ter Boris John­son am 9. April in Kiew inter­ve­niert und eine Unter­zeich­nung ver­hin­dert. Sei­ne Begrün­dung war, der Wes­ten sei für ein Kriegs­en­de nicht bereit.

Es ist unge­heu­er­lich, was da gespielt wird, von dem der gut­gläu­bi­ge Bür­ger kei­ne Ahnung hat. Die Ver­hand­lun­gen in Istan­bul waren bekannt, auch dass man kurz vor einer Eini­gung stand, aber von einem Tag auf den ande­ren hat man nichts mehr gehört.

Mit­te März hat­te bei­spiels­wei­se die bri­ti­sche Finan­cial Times über Fort­schrit­te berich­tet. Auch in eini­gen deut­schen Zei­tun­gen erschie­nen ent­spre­chen­de Mel­dun­gen. Wes­halb die Ver­hand­lun­gen schei­ter­ten, ist aller­dings nicht berich­tet wor­den. Als Putin am 21. Sep­tem­ber die Teil­mo­bil­ma­chung ver­kün­de­te, erwähn­te er zum ers­ten Mal öffent­lich, dass die Ukrai­ne in den Istan­bul-Ver­hand­lun­gen im März 2022 posi­tiv auf rus­si­sche Vor­schlä­ge reagiert habe. »Aber«, sag­te er wört­lich, »eine fried­li­che Lösung pass­te dem Wes­ten nicht, des­halb hat er Kiew tat­säch­lich befoh­len, alle Ver­ein­ba­run­gen zunich­te zu machen.«

The analysis of a true expert

Dar­über schweigt tat­säch­lich unse­re Presse.

Anders als bei­spiels­wei­se die ame­ri­ka­ni­schen Medi­en. For­eign Affairs und Respon­si­ble Sta­te­craft, zwei renom­mier­te Zeit­schrif­ten, ver­öf­fent­lich­ten dazu sehr infor­ma­ti­ve Berich­te. Der Arti­kel in For­eign Affairs war von Fio­na Hill, einer ehe­mals hoch­ran­gi­gen Mit­ar­bei­te­rin im natio­na­len Sicher­heits­rat des Wei­ßen Hau­ses. Sie ist sehr kom­pe­tent und abso­lut zuver­läs­sig. Sehr detail­lier­te Infor­ma­tio­nen wur­den bereits am 2. Mai auch in der regie­rungs­na­hen Ukrains­ka Prav­da veröffentlicht.

Deutsche Medien kehren Fakten unter den Teppich

Haben Sie noch wei­te­re Anga­ben zu die­ser Ungeheuerlichkeit?

Es ist bekannt, dass die wesent­li­chen Inhal­te des Ver­trags­ent­wurfs auf einem Vor­schlag der ukrai­ni­schen Regie­rung vom 29. März beru­hen. Dar­über berich­ten inzwi­schen auch vie­le US-ame­ri­ka­ni­sche Medi­en. Ich habe jedoch erfah­ren müs­sen, dass deut­sche Medi­en selbst dann nicht bereit sind, das The­ma auf­zu­grei­fen, wenn sie Zugang zu den Quel­len haben.

Sie äus­sern sich in einem Arti­kel fol­gen­der­ma­ßen: »Der Man­gel an sicher­heits­po­li­ti­schem Weit­blick und stra­te­gi­schem Urteils­ver­mö­gen in unse­rem Lan­de ist beschä­mend.« Was mei­nen Sie damit konkret?

Neh­men wir als Bei­spiel den Zustand der Bun­des­wehr. 2011 wur­de eine Bun­des­wehr­re­form durch­ge­führt, die soge­nann­te Neu­aus­rich­tung der Bun­des­wehr. Neu­aus­rich­tung bedeu­te­te weg vom Ver­fas­sungs­auf­trag der Lan­des- und Bünd­nis­ver­tei­di­gung und hin zu Aus­lands­ein­sät­zen. Zur Begrün­dung hieß es, dass es kein Risi­ko eines kon­ven­tio­nel­len Angriffs auf Deutsch­land und die NATO-Ver­bün­de­ten gebe. Per­so­nal­um­fang und Struk­tur der Streit­kräf­te, Aus­rüs­tung, Bewaff­nung und Aus­bil­dung wur­den auf Aus­lands­ein­sät­ze aus­ge­rich­tet. Streit­kräf­te, die über die Fähig­keit zur Lan­des- und Bünd­nis­ver­tei­di­gung ver­fü­gen, kön­nen auch Sta­bi­li­sie­rungs­ein­sät­ze durch­füh­ren, zumal die Bun­des­re­gie­rung und das Par­la­ment dar­über im Ein­zel­fall selbst ent­schei­den kön­nen. Umge­kehrt ist das nicht der Fall, denn ob der Fall der Lan­des- und Bünd­nis­ver­tei­di­gung ein­tritt, ent­schei­det der Aggres­sor. Die dama­li­ge Lage­be­ur­tei­lung war ohne­hin falsch. Denn durch die ein­sei­ti­ge Kün­di­gung des ABM-Ver­tra­ges durch die USA war bereits 2002 ein stra­te­gi­scher Wen­de­punkt im Ver­hält­nis zu Russ­land ent­stan­den. Poli­ti­scher Wen­de­punkt war der NATO-Gip­fel in Buka­rest 2008, als US-Prä­si­dent Geor­ge W. Bush ver­such­te, eine Ein­la­dung der Ukrai­ne und Geor­gi­ens zum NATO-Bei­tritt durch­zu­set­zen. Als er damit schei­ter­te, wur­de, wie in sol­chen Fäl­len üblich, eine vage Bei­tritts­per­spek­ti­ve für die­se Län­der in das Com­mu­ni­qué aufgenommen.

Wie die Bundeswehr kannibalisiert wird

Sehen Sie auf­grund die­ser Ent­wick­lung zwi­schen Russ­land und den USA einen Zusam­men­hang mit der aktu­el­len Krise?

Obwohl durch den Ukrai­ne­krieg das Risi­ko einer Kon­fron­ta­ti­on Russ­lands und der Nato für jeder­mann offen­sicht­lich ist, wird die Bun­des­wehr wei­ter ent­waff­net, ja, gera­de­zu kan­ni­ba­li­siert, um Waf­fen und mili­tä­ri­sches Gerät für die Ukrai­ne frei­zu­set­zen. Eini­ge Poli­ti­ker recht­fer­ti­gen dies sogar mit dem unsin­ni­gen Argu­ment, dass unse­re Frei­heit in der Ukrai­ne ver­tei­digt würde.

War­um ist das für Sie ein unsin­ni­ges Argu­ment? Alle argu­men­tie­ren so, selbst der Vor­ste­her des Schwei­zer Außen­de­par­te­ments, Igna­zio Cassis.

Die Ukrai­ne kämpft um ihre Frei­heit, um ihre Sou­ve­rä­ni­tät und um die ter­ri­to­ria­le Inte­gri­tät des Lan­des. Aber die bei­den Haupt­ak­teu­re in die­sem Krieg sind Russ­land und die USA. Die Ukrai­ne kämpft auch für die geo­po­li­ti­schen Inter­es­sen der USA. Denn deren erklär­tes Ziel ist es, Russ­land poli­tisch, wirt­schaft­lich und mili­tä­risch so weit zu schwä­chen, dass sie sich dem geo­po­li­ti­schen Riva­len zuwen­den kön­nen, der als ein­zi­ger in der Lage ist, ihre Vor­macht­stel­lung als Welt­macht zu gefähr­den: Chi­na. Zudem wäre es doch höchst unmo­ra­lisch, die Ukrai­ne in ihrem Kampf für unse­re Frei­heit allein zu las­sen und ledig­lich Waf­fen zu lie­fern, die das Blut­ver­gie­ßen ver­län­gern und die Zer­stö­rung des Lan­des ver­grö­ßern. Nein, in die­sem Krieg geht es nicht um unse­re Frei­heit. Die Kern­pro­ble­me, wes­halb der Krieg ent­stan­den ist und immer noch fort­ge­setzt wird, obwohl er längst been­det sein könn­te, sind ganz andere.

Was ist Ihrer Mei­nung nach das Kernproblem?

Russ­land will ver­hin­dern, dass der geo­po­li­ti­sche Riva­le USA eine stra­te­gi­sche Über­le­gen­heit gewinnt, die Russ­lands Sicher­heit gefähr­det. Sei es durch Mit­glied­schaft der Ukrai­ne in der von den USA geführ­ten NATO, sei es durch die Sta­tio­nie­rung ame­ri­ka­ni­scher Trup­pen, die Ver­la­ge­rung mili­tä­ri­scher Infra­struk­tur oder gemein­sa­mer NATO-Manö­ver. Auch die Dis­lo­zie­rung ame­ri­ka­ni­scher Sys­te­me des bal­lis­ti­schen Rake­ten­ab­wehr­sys­tems der NATO in Polen und Rumä­ni­en ist Russ­land ein Dorn im Auge, denn Russ­land ist über­zeugt, dass die USA von die­sen Abschuss­an­la­gen auch rus­si­sche inter­kon­ti­nen­tal­stra­te­gi­sche Sys­te­me aus­schal­ten und damit das nukle­ar­stra­te­gi­sche Gleich­ge­wicht gefähr­den könn­ten. Eine wich­ti­ge Rol­le spielt auch das Minsk II-Abkom­men, in dem die Ukrai­ne sich ver­pflich­tet hat, der rus­sisch­spra­chi­gen Bevöl­ke­rung im Don­bas bis Ende 2015 durch eine Ver­fas­sungs­än­de­rung mit einer grös­se­ren Auto­no­mie der Regi­on Min­der­hei­ten­rech­te zu gewäh­ren, wie sie in der Euro­päi­schen Uni­on Stan­dard sind. Es gibt inzwi­schen Zwei­fel, ob die USA und die NATO bereit waren, vor dem rus­si­schen Angriff auf die Ukrai­ne ernst­haft über die­se Fra­gen zu verhandeln.

Das Risiko einer Eskalation

Wil­fried Schar­nagl zeigt in sei­nem Buch »Am Abgrund« bereits 2015 ganz deut­lich auf, dass die Poli­tik des Wes­tens eine unglaub­li­che Pro­vo­ka­ti­on ist, und wenn EU und Nato ihren Kurs nicht ändern, es zu einer Kata­stro­phe kom­men könnte.

Ja, damit muss man rech­nen. Je län­ger der Krieg dau­ert, des­to grö­ßer wird das Risi­ko einer Aus­wei­tung oder Eskalation.

Das haben wir bereits in der Kuba­kri­se gehabt.

Das war eine ver­gleich­ba­re Situation.

Wie beur­tei­len Sie die beschlos­se­ne Lie­fe­rung von Mar­der-Pan­zern an die Ukraine?

Waf­fen­sys­te­me haben Stär­ken und Schwä­chen auf­grund tech­ni­scher Merk­ma­le und damit – abhän­gig vom Aus­bil­dung­s­tand der Sol­da­ten sowie den jewei­li­gen ope­ra­ti­ven Rah­men­be­din­gun­gen – einen bestimm­ten Ein­satz­wert. Im Gefecht der ver­bun­de­nen Waf­fen wir­ken ver­schie­de­ne Waf­fen­sys­te­me in einem gemein­sa­men Füh­rungs- bzw. Infor­ma­ti­ons­sys­tem zusam­men, wodurch die Schwä­chen des einen Sys­tems durch die Stär­ken ande­rer Sys­te­me aus­ge­gli­chen wer­den. Bei einem nied­ri­gen Aus­bil­dungs­stand des Bedie­nungs­per­so­nals oder wenn ein Waf­fen­sys­tem nicht gemein­sam mit ande­ren Sys­te­men in einem funk­tio­na­len Zusam­men­hang ein­ge­setzt wird und mög­li­cher­wei­se die Ein­satz­be­din­gun­gen schwie­rig sind, ist der Ein­satz­wert gering. Damit besteht die Gefahr der früh­zei­ti­gen Aus­schal­tung oder sogar das Risi­ko, dass die Waf­fe in die Hand des Geg­ners fällt. Das ist die gegen­wär­ti­ge Lage, in der moder­ne west­li­che Waf­fen­sys­te­me im Ukrai­ne­krieg zum Ein­satz kom­men. Russ­land hat im Dezem­ber ein umfang­rei­ches Pro­gramm zur Aus­wer­tung der tech­ni­schen und ope­ra­tiv-tak­ti­schen Para­me­ter erober­ter west­li­cher Waf­fen begon­nen, was die Effek­ti­vi­tät der eige­nen Ope­ra­ti­ons­füh­rung und Waf­fen­wir­kung erhö­hen soll.

Die drei Neins aus Washington

Dar­über hin­aus stellt sich grund­sätz­lich die Fra­ge der Mit­tel-Zweck-Rela­ti­on. Wel­chem Zweck sol­len die west­li­chen Waf­fen die­nen? Selen­s­kij hat die stra­te­gi­schen Zie­le der ukrai­ni­schen Kriegs­füh­rung immer wie­der geän­dert. Gegen­wär­tig ver­folgt die Ukrai­ne das Ziel, alle von Russ­land besetz­ten Gebie­te ein­schliess­lich der Krim zurück­zu­er­obern. Der deut­sche Bun­des­kanz­ler sagt, wir unter­stüt­zen die Ukrai­ne, solan­ge das nötig ist, also auch bei der Ver­fol­gung die­ses Ziels, obwohl die USA mitt­ler­wei­le beto­nen, es gin­ge dar­um, ledig­lich »das Ter­ri­to­ri­um zurück­zu­er­obern, das seit dem 24. Febru­ar 2022 von Russ­land ein­ge­nom­men wurde.«

Es gilt somit die Fra­ge zu beant­wor­ten, ob das Mit­tel west­li­cher Waf­fen­lie­fe­run­gen geeig­net ist, den von der Ukrai­ne beab­sich­tig­ten Zweck zu erfül­len. Die­se Fra­ge hat eine qua­li­ta­ti­ve und eine quan­ti­ta­ti­ve Dimen­si­on. Die USA lie­fern kei­ne Waf­fen außer sol­che zur Selbst­ver­tei­di­gung, kei­ne Waf­fen, die das Gefecht der ver­bun­de­nen Waf­fen ermög­li­chen und vor allem kei­ne, die eine nuklea­re Eska­la­ti­on aus­lö­sen könn­ten. Das sind Prä­si­dent Bidens drei Neins.

Wie will die Ukrai­ne ihre mili­tä­ri­schen Zie­le erreichen?

Der ukrai­ni­sche Gene­ral­stabs­chef, Gene­ral Salu­sch­nij, sag­te kürz­lich: »Ich brau­che 300 Kampf­pan­zer, 600 bis 700 Schüt­zen­pan­zer und 500 Hau­bit­zen, um die rus­si­schen Trup­pen auf die Posi­tio­nen vor dem Angriff vom 24. Febru­ar zurück­zu­drän­gen.« Jedoch mit dem, was er erhal­te, sei­en »grös­se­re Ope­ra­tio­nen nicht mög­lich«. Ob die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te ange­sichts der gro­ßen Ver­lus­te der letz­ten Mona­te über­haupt noch über eine aus­rei­chen­de Zahl geeig­ne­ter Sol­da­ten ver­fü­gen, um die­se Waf­fen­sys­te­me ein­set­zen zu kön­nen, ist aller­dings frag­lich. Jeden­falls erklärt auch die Aus­sa­ge Gene­ral Salu­sch­nijs, wes­halb die west­li­chen Waf­fen­lie­fe­run­gen die Ukrai­ne nicht in die Lage ver­set­zen, ihre mili­tä­ri­schen Zie­le zu errei­chen, son­dern ledig­lich den Krieg ver­län­gern. Hin­zu kommt, dass Russ­land die west­li­che Eska­la­ti­on jeder­zeit durch eine eige­ne über­tref­fen könnte.

In der deut­schen Dis­kus­si­on wer­den die­se Zusam­men­hän­ge nicht ver­stan­den oder igno­riert. Dabei spielt auch die Art und Wei­se eine Rol­le, wie eini­ge Ver­bün­de­te ver­su­chen, die Bun­des­re­gie­rung öffent­lich nun auch zur Lie­fe­rung von Leo­pard 2‑Kampfpanzern zu drän­gen. Das hat es in der Nato bis­her nicht gege­ben. Es zeigt, wie sehr Deutsch­lands Anse­hen im Bünd­nis durch die Schwä­chung der Bun­des­wehr gelit­ten hat und mit wel­chem Enga­ge­ment eini­ge Ver­bün­de­te das Ziel ver­fol­gen, Deutsch­land gegen­über Russ­land beson­ders zu exponieren.

Was nährt Sel­sen­k­ijs Auf­fas­sung, man kön­ne die Rus­sen aus der Ukrai­ne vertreiben?

Mög­li­cher­wei­se wer­den die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te mit den Waf­fen­sys­te­men, die ihnen auf der nächs­ten Geber­kon­fe­renz am 20. Janu­ar zuge­sagt wer­den, etwas effek­ti­ver in der Lage sein, sich gegen die in den nächs­ten Wochen statt­fin­den­den rus­si­schen Offen­si­ven zu ver­tei­di­gen. Sie kön­nen dadurch aber nicht die besetz­ten Gebie­te zurück­er­obern. Nach Ansicht des US-ame­ri­ka­ni­schen Gene­ral­stabs­chefs, Gene­ral Mark Mil­ley, hat die Ukrai­ne das, was sie mili­tä­risch errei­chen konn­te, erreicht. Mehr ist nicht mög­lich. Des­halb soll­ten jetzt diplo­ma­ti­sche Bemü­hun­gen auf­ge­nom­men wer­den, um einen Ver­hand­lungs­frie­den zu errei­chen. Ich tei­le die­se Auffassung.

Dabei ist zu berück­sich­ti­gen, dass die rus­si­schen Streit­kräf­te offen­bar die Absicht haben, das erober­te Gebiet zu ver­tei­di­gen und den Rest des Don­bas zu erobern, um die von ihnen annek­tier­ten Gebie­te zu kon­so­li­die­ren. Sie haben ihre Ver­tei­di­gungs­stel­lun­gen gut dem Gelän­de ange­passt und stark befes­tigt. Angrif­fe auf die­se Stel­lun­gen erfor­dern einen hohen Kräf­te­auf­wand und die Bereit­schaft, erheb­li­che Ver­lus­te hin­zu­neh­men. Durch den Abzug aus der Regi­on Cher­son wur­den unge­fähr 22.000 kampf­kräf­ti­ge Trup­pen für Offen­si­ven frei­ge­setzt. Zudem wer­den wei­te­re Kampf­ver­bän­de als Ver­stär­kung in die Regi­on verlegt.

Aber was sol­len dann die Waf­fen­lie­fe­run­gen, die das Errei­chen von Selen­s­kijs Ziel nicht ermöglichen?

Die der­zei­ti­gen Bemü­hun­gen der USA, die Euro­pä­er zu wei­te­ren Waf­fen­lie­fe­run­gen zu ver­an­las­sen, haben mög­li­cher­wei­se mit die­ser Lage­ent­wick­lung zu tun. Man muss zwi­schen den öffent­lich geäu­ßer­ten Grün­den und den kon­kre­ten Ent­schei­dun­gen der Bun­des­re­gie­rung unter­schei­den. Es wür­de zu weit füh­ren, auf das gan­ze Spek­trum die­ser Dis­kus­si­on ein­zu­ge­hen. Ich wür­de mir aller­dings wün­schen, dass die Bun­des­re­gie­rung in die­ser Fra­ge wirk­lich kom­pe­tent bera­ten wird und – was viel­leicht noch wich­ti­ger ist – der Bedeu­tung die­ser Fra­ge ent­spre­chend auf­nah­me­be­reit und urteils­fä­hig wäre.

Die Bun­des­re­gie­rung ist mit der Unter­stüt­zung der Ukrai­ne schon sehr weit gegan­gen. Zwar machen Waf­fen­lie­fe­run­gen Deutsch­land noch nicht zur Kon­flikt­par­tei. Aber in Ver­bin­dung mit der Aus­bil­dung ukrai­ni­scher Sol­da­ten an die­sen Waf­fen unter­stüt­zen wir die Ukrai­ne dabei, ihre mili­tä­ri­schen Zie­le zu errei­chen. Der Wis­sen­schaft­li­che Dienst des Deut­schen Bun­des­tags hat des­halb in sei­nem Gut­ach­ten vom 16. März 2022 erklärt, dass damit der gesi­cher­te Bereich der Nicht-Kriegs­füh­rung ver­las­sen wird. Auch die USA wer­den ukrai­ni­sche Sol­da­ten in Deutsch­land aus­bil­den. Das Grund­ge­setz ent­hält in sei­ner Prä­am­bel ein strik­tes Frie­dens­ge­bot für unser Land. Das Grund­ge­setz tole­riert die Unter­stüt­zung einer Kriegs­par­tei also nur dann, wenn die­se geeig­net ist, eine fried­li­che Lösung zu ermög­li­chen. Die Bun­des­re­gie­rung ist des­halb in der Pflicht, der deut­schen Bevöl­ke­rung zu erklä­ren, inner­halb wel­cher Gren­zen und mit wel­chem Ziel die Unter­stüt­zung der Ukrai­ne erfolgt. Schließ­lich müss­ten auch der ukrai­ni­schen Regie­rung die Gren­zen der Unter­stüt­zung auf­ge­zeigt wer­den. Selbst Prä­si­dent Biden hat vor eini­ger Zeit in einem Namens­ar­ti­kel erklärt, dass die USA die Ukrai­ne zwar wei­ter mili­tä­risch unter­stüt­zen wer­den, aber eben auch ihre Bemü­hun­gen, in die­sem Kon­flikt einen Ver­hand­lungs­frie­den zu erreichen.

Krieg zwischen NATO und Russland möglich

Seit Wochen rennt die ukrai­ni­sche Armee gegen die Rus­sen an – ohne Erfolg. Den­noch spricht Selen­s­kij von Rück­erobe­rung. Ist das Pro­pa­gan­da oder besteht die­se Mög­lich­keit tatsächlich?

Nein, dazu sind die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te sowohl nach Ein­schät­zung des ame­ri­ka­ni­schen wie des ukrai­ni­schen Gene­ral­stabs­chefs nicht in der Lage. Bei­de Kriegs­par­tei­en befin­den sich gegen­wär­tig wie­der in einer Patt­si­tua­ti­on, die durch die Ein­schrän­kun­gen auf­grund der Jah­res­zeit ver­stärkt wird. Jetzt wäre also der rich­ti­ge Zeit­punkt, die abge­bro­che­nen Ver­hand­lun­gen wie­der auf­zu­neh­men. Die Waf­fen­lie­fe­run­gen bedeu­ten das Gegen­teil, näm­lich dass der Krieg sinn­los ver­län­gert wird, mit noch mehr Toten auf bei­den Sei­ten und der Fort­set­zung der Zer­stö­rung des Lan­des. Aber auch mit der Fol­ge, dass wir noch tie­fer in die­sen Krieg hin­ein­ge­zo­gen wer­den. Selbst der Nato-Gene­ral­se­kre­tär hat kürz­lich vor einer Aus­wei­tung der Kämp­fe zu einem Krieg zwi­schen der Nato und Russ­land gewarnt.

Sie sagen, wir haben wie­der eine »Patt­si­tua­ti­on«. Was mei­nen Sie damit?

Eine posi­ti­ve Aus­gangs­la­ge für eine Ver­hand­lungs­lö­sung hat­te sich bei­spiels­wei­se Ende März ver­gan­ge­nen Jah­res erge­ben, als die Rus­sen ent­schie­den, vor Kiew abzu­dre­hen und sich auf den Osten und den Don­bas zu kon­zen­trie­ren. Das hat die Ver­hand­lun­gen in Istan­bul ermög­licht. Eine ähn­li­che Lage ent­stand im Sep­tem­ber, bevor Russ­land die Teil­mo­bi­li­sie­rung durch­führ­te. Die damals ent­stan­de­nen Mög­lich­kei­ten sind nicht genutzt wor­den. Jetzt wäre es wie­der Zeit zu ver­han­deln, und wir nut­zen auch die­se Gele­gen­heit nicht, son­dern tun das Gegen­teil: Wir schi­cken Waf­fen und eska­lie­ren. Auch dies ist ein Aspekt, der den Man­gel an sicher­heits­po­li­ti­schem Weit­blick und stra­te­gi­schem Urteils­ver­mö­gen offenlegt.

Sie haben in Ihrem Text noch erwähnt, dass der rus­si­sche Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Schoi­gu Bereit­schaft für Ver­hand­lun­gen signa­li­siert hat …

… das hat auch Putin gemacht. Putin hat am 30. Sep­tem­ber, als er zwei wei­te­re Regio­nen zu rus­si­schem Ter­ri­to­ri­um erklär­te, aus­drück­lich wie­der Ver­hand­lun­gen ange­bo­ten. Er hat das zwi­schen­zeit­lich mehr­fach getan. Jetzt ist es aller­dings so, dass Schoi­gu das nicht an Bedin­gun­gen geknüpft hat, aber Putin hat sozu­sa­gen die Lat­te höher gelegt, indem er sag­te, wir sind zu Ver­hand­lun­gen bereit, aber es setzt natür­lich vor­aus, dass die ande­re Sei­te die Gebie­te, die wir annek­tiert haben, aner­kennt. Dar­an sieht man, dass sich die Posi­tio­nen bei­der Sei­ten immer mehr ver­här­ten, je län­ger der Krieg dau­ert. Denn Selen­s­kij sag­te, er ver­hand­le erst, wenn sich die Rus­sen voll­stän­dig aus der Ukrai­ne zurück­ge­zo­gen hät­ten. Damit wird eine Lösung immer schwie­ri­ger, aber sie ist noch nicht ausgeschlossen.

Ich möch­te noch auf ein Ereig­nis zu spre­chen kom­men. Frau Mer­kel hat in einem Interview …

… ja, was sie sagt, ist ein­deu­tig. Sie hät­te das Minsk II-Abkom­men nur aus­ge­han­delt, um der Ukrai­ne Zeit zu ver­schaf­fen. Und die Ukrai­ne habe die­se auch genutzt, um mili­tä­risch auf­zu­rüs­ten. Das hat der ehe­ma­li­ge fran­zö­si­sche Prä­si­dent Hol­lan­de bestätigt.

Die unrühmliche Rolle der Angela Merkel

Petro Poro­schen­ko, der ehe­ma­li­ge ukrai­ni­sche Staats­prä­si­dent, hat das eben­falls gesagt.

Russ­land bezeich­net das ver­ständ­li­cher­wei­se als Betrug. Und Mer­kel bestä­tigt, dass Russ­land ganz bewusst getäuscht wur­de. Das kann man bewer­ten, wie man will, aber es ist ein ekla­tan­ter Ver­trau­ens­bruch und eine Fra­ge der poli­ti­schen Bere­chen­bar­keit. Nicht weg­dis­ku­tie­ren kann man aller­dings, dass die Wei­ge­rung der ukrai­ni­schen Regie­rung – in Kennt­nis die­ser beab­sich­tig­ten Täu­schung – das Abkom­men umzu­set­zen, noch weni­ge Tage vor Kriegs­be­ginn, einer der Aus­lö­ser für den Krieg war. Die Bun­des­re­gie­rung hat­te sich in der Uno-Reso­lu­ti­on dazu ver­pflich­tet, das »gesam­te Paket» der ver­ein­bar­ten Maß­nah­men umzu­set­zen. Dar­über hin­aus hat die Bun­des­kanz­le­rin mit den ande­ren Teil­neh­mern des Nor­man­die-For­mats eine Erklä­rung zur Reso­lu­ti­on unter­schrie­ben, in der sie sich noch ein­mal aus­drück­lich zur Imple­men­tie­rung der Minsk-Ver­ein­ba­run­gen verpflichtete.

Das ist doch auch ein Völkerrechtsbruch?

Ja, das ist ein Völ­ker­rechts­bruch, das ist ein­deu­tig. Der Scha­den ist immens. Man muss sich die heu­ti­ge Situa­ti­on ein­mal vor­stel­len. Die Leu­te, die von Anfang an Krieg füh­ren woll­ten und immer noch wol­len, haben den Stand­punkt ver­tre­ten, mit Putin kann man nicht ver­han­deln. Der hält die Ver­ein­ba­run­gen so oder so nicht ein. Jetzt stellt sich her­aus, wir sind die­je­ni­gen, die inter­na­tio­na­le Ver­ein­ba­run­gen nicht einhalten.

Nach mei­nen Kennt­nis­sen hal­ten die Rus­sen ihre Ver­trä­ge ein, sogar wäh­rend des aktu­el­len Krie­ges hat Russ­land wei­ter­hin Gas gelie­fert. Aber Frau Baer­bock hat voll­mun­dig ver­kün­det: »Wir wol­len kein rus­si­sches Gas mehr!« Dar­auf­hin hat Russ­land die Men­ge gedros­selt. So war es doch?

Ja, wir haben gesagt, wir wol­len kein rus­si­sches Gas mehr. Alle Fol­ge­wir­kun­gen, die Ener­gie­kri­se, die wirt­schaft­li­che Rezes­si­on etc. sind das Resul­tat der Ent­schei­dung der Bun­des­re­gie­rung und nicht einer Ent­schei­dung der rus­si­schen Regierung.

Aber wenn Sie die Nach­rich­ten hören oder sehen – auch bei uns in der Schweiz – dann gibt es die Ener­gie­kri­se auf­grund von Putins Ent­scheid, Krieg gegen die Ukrai­ne zu führen.

In der Ver­gan­gen­heit gab es zwei­mal Schwie­rig­kei­ten bei der Lie­fe­rung von Gas, die von der Ukrai­ne ver­ur­sacht wur­den. Da soll­te man ehr­lich sein. Russ­land wür­de wei­ter lie­fern, aber wir wol­len von dort nichts mehr, weil es die Ukrai­ne ange­grif­fen hat. Dann kommt noch die Fra­ge auf: Wer hat eigent­lich North-Stream II in die Luft gesprengt?

Haben Sie eine Ein­schät­zung zur Sprengung?

Nein, das wäre rei­ne Spe­ku­la­ti­on. Es gibt Indi­zi­en wie so häu­fig, aber kei­ne Bewei­se. Jeden­falls kei­ne, die öffent­lich bekannt gewor­den sind. Aber Sie kön­nen ganz sicher sein: Die Son­ne bringt es an den Tag.

Wel­che Erfah­run­gen haben Sie in Ver­hand­lun­gen mit Russ­land gemacht?

Ich habe vie­le Ver­hand­lun­gen mit Russ­land geführt, z. B. über den rus­si­schen Bei­trag zum Koso­vo-Ein­satz der Nato. Die USA hat­ten uns dar­um gebe­ten, weil sie mit Russ­land zu kei­nem Ergeb­nis kamen. Russ­land war schließ­lich bereit, sei­ne Trup­pen einem deut­schen Nato-Befehls­ha­ber zu unter­stel­len. In den 90er Jah­ren ent­stand eine enge poli­ti­sche Abstim­mung und mili­tä­ri­sche Zusam­men­ar­beit zwi­schen der Nato und Russ­land, seit 1997 durch den Nato-Russ­land-Grund­la­gen­ver­trag gere­gelt. Die Rus­sen sind har­te Ver­hand­lungs­part­ner, aber wenn man zu einem gemein­sa­men Ergeb­nis kommt, dann steht das und gilt auch.

Wie sah das Ergeb­nis aus?

Die Rus­sen woll­ten in den Ver­hand­lun­gen um den Grund­la­gen­ver­trag eine Art Mit­ent­schei­dungs­recht erhal­ten. Das war nicht mög­lich. Wir haben aber einen Weg gefun­den, gemein­sa­me Lösun­gen in Fäl­len zu fin­den, in denen die Sicher­heits­in­ter­es­sen der einen oder ande­ren Sei­te betrof­fen sind. Nach dem Geor­gi­en­krieg hat die Nato die Zusam­men­ar­beit lei­der weit­ge­hend sus­pen­diert. Es hat sich auch im Vor­feld des Ukrai­ne­krie­ges gezeigt, dass Rege­lun­gen, die in Zei­ten eines guten Ver­hält­nis­ses für die Bei­le­gung von Kri­sen und Kon­flik­ten geschaf­fen wer­den, dann ihren Wert haben, wenn es zu Span­nun­gen kommt. Lei­der hat man das nicht verstanden.

Herr Gene­ral Kujat, ich dan­ke für das Gespräch.


Sie­he dazu auch: Die gut abge­han­ge­nen Zuta­ten des Ukraine-Krieges

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1 Nach­druck mit freund­li­cher Geneh­mi­gung der Redak­ti­on von Zeit­ge­sche­hen im Fokus

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