Die Entscheidung über die künftige Klinik-Landschaft im Kreis Lippe ist gefallen. Nach Angaben des Kreises Lippe von heute abend ist klar: Lemgo wird zugunsten von Detmold bluten müssen. In Lemgo verbleiben eine Notfallversorgung und stationäre Fachkliniken.
Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung des Klinikums Lippe haben einstimmig eine Neuausrichtung der Standorte Detmold und Lemgo auf den Weg gebracht. Diese sieht vor, zwei Fachkliniken (Onkologie und Neurologie) auf jeden Fall in die Residenzstadt zu verlagern. „Dadurch springen wir in Detmold auf die höchste Qualitätsstufe der Notfallversorgung und können außerdem Onkologisches Spitzenzentrum werden. Zwei immens wichtige Schritte, durch die wir eine deutliche Verbesserung in der medizinischen Versorgung aller Lipperinnen und Lipper erreichen“, freut sich Axel Lehmann, Landrat des Kreises Lippe und Aufsichtsratsvorsitzender des Klinikums Lippe. Der Standort Lemgo bleibe hingegen als Krankenhaus der Grundversorgung mit einer Notfallversorgung sowie stationären Fachkliniken erhalten – und werd außerdem mit ambulanten Angeboten weiterentwickelt und gestärkt, so der SPD-Politiker.
„Ich bin sehr froh, dass es nach intensiven und emotionalen Diskussionen einen breiten Konsens für die Neuausrichtung unseres Klinikums gegeben hat. Diese ist dringend notwendig, um in einer wirtschaftlich sehr schwierigen Zeit den Fortbestand unseres Uniklinikums und die medizinische Versorgung aller Lipperinnen und Lipper sicherzustellen“, sagt Lehmann. Dabei nehme er auch das Land NRW in die Pflicht: „Das alles – vor allem den Weiterbetrieb einer Notfallversorgung in Lemgo – können wir nur umsetzen, wenn das Gesundheitsministerium in Düsseldorf zu seinem Wort steht und uns wie versprochen finanziell und regulatorisch auf diesem Weg unterstützt. Das ist Voraussetzung für die Umsetzung der von den Gremien des Klinikums gefassten Beschlüsse.“
Notfallversorgung bleibt in Lemgo
Bei ihrer Entscheidung über die künftige Ausrichtung des Klinikums, haben sich der Mitteilung des Kreises zufolge Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung in Grundzügen an den Vorschlägen orientiert, die eine Unternehmensberatung der Geschäftsführung sowie den beiden Gremien gemacht hatte – mit drei wesentlichen Unterschieden:
- Erstens: Mit ihrem Beschluss haben die Gremien des Klinikums zum einen den Umzug der Pneumologie nach Detmold auf den Weg gebracht – allerdings unter Vorbehalt. Im Jahr 2027 soll diese Entscheidung noch einmal überprüft werden. Sollte dabei herauskommen, dass eine Verlagerung wirtschaftlich und medizinstrategisch doch nicht notwendig ist, könnte die Pneumologie auch in Lemgo bleiben.
Fest beschlossen ist hingegen die Verlagerung der Onkologie und der Neurologie. „Dies ist nicht nur aus wirtschaftlicher, sondern auch aus medizinischer Sicht dringend notwendig, da wir dadurch im Notfall weitere immens wichtige Abteilungen an einem Ort bündeln. Darüber hinaus erreichen wir so wie erwähnt die beste Stufe der Notfallversorgung – nämlich Level 3. Derzeit haben wir durch unsere dezentrale Aufstellung hier Level 2“, erklärt Dr. Lehmann. „Außerdem werden wir dann die notwendigen Voraussetzungen für ein Onkologisches Spitzenzentrum erfüllen. Dadurch können wir zukünftig Krebspatienten eine Therapie auf höchstem Qualitätsstandard anbieten“, ergänzt Dr. Johannes Hütte, Geschäftsführer des Klinikums Lippe.
Damit Neurologie und Onkologie (und auch die Pneumologie) umziehen können, muss am Standort Detmold gebaut werden. Dafür werden die in Aussicht gestellten Finanzhilfen des Gesundheitsministeriums benötigt. Zusätzlich hatte das Klinikum in Düsseldorf bereits einen Förderantrag für Baumaßnahmen in Detmold gestellt. In diesem Zuge würde auch eine komplett neue, hochmoderne Zentrale Notfallversorgung und ein neues Diagnostikzentrum gebaut werden. Pläne dafür gibt es bereits seit geraumer Zeit. - Zweitens: Die ursprünglich ebenfalls vorgesehene Verlagerung der Thoraxchirurgie und der Gefäßchirurgie nach Detmold wird hingegen noch einmal genauer bis Januar 2025 unter personellen, wirtschaftlichen und medizinischen Gesichtspunkten beleuchtet. Danach wird über einen möglichen Umzug nach Detmold entschieden. In diesem Fall wäre eine Allgemeine Chirurgie in Lemgo einzurichten.
- Drittens: In Lemgo soll es weiterhin eine Notfallversorgung geben. Diese war aufgrund des allgemein im medizinischen Bereich herrschenden Personalmangels sowie aus Kostengründen eigentlich nicht mehr am Standort Lemgo vorgesehen. Daraufhin hatte das Gesundheitsministerium sich allerdings dafür ausgesprochen, in der Alten Hansestadt auch weiterhin eine Notfallversorgung zu betreiben.
Damit vor allem Letzteres gelingen könne, habe Düsseldorf zum einen Investitionskostenzuschüsse in zweistelliger Millionenhöhe in Aussicht gestellt. Zum anderen hatte das Ministerium zugesagt, Lemgo und Detmold in Zukunft als einen gemeinsamen Klinikstandort betrachten zu wollen. Eine für das Klinikum Lippe immens wichtige Formalie, die beispielsweise eine wesentlich höhere Flexibilität bei der Personalplanung ermöglichen würde (Stichwort Personalmangel).
„Ich hätte mir grundsätzlich zwar noch weitreichendere Beschlüsse vorstellen können – vor allem auch, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Lippe mehr Planungssicherheit haben, wie es nun weitergeht. Die nun getroffenen Entscheidungen sind aber die, die mit breitem Konsens möglich waren – und die Richtung stimmt. Bei diesem für die Lipperinnen und Lipper immens wichtigen Thema müssen wir gemeinsam an einem Strang ziehen. Daher erwarte ich auch von den Landratsabgeordneten aus Lippe, uns auf diesem Weg zu unterstützen und die Landesregierung in Düsseldorf an ihre Zusagen zu erinnern“, stellt Lehmann klar.
So soll sich das Klinikum Lippe entwickeln:
- Detmold: Bis 2030 sollen sukzessive die Neurologie und die Onkologie von Lemgo nach Detmold verlagert werden. Auch die Pneumologie soll in Detmold angesiedelt werden. Allerdings wird diese Entscheidung 2027 noch einmal überprüft. Unabhängig davon müssen in Detmold erst einmal die Bagger anrollen, um räumlich die Kapazitäten für zusätzliche stationäre Abteilungen zu schaffen. Auch dafür werden die in Aussicht gestellten Finanzhilfen des Gesundheitsministeriums benötigt. Zusätzlich hatte das Klinikum in Düsseldorf bereits einen Förderantrag für Baumaßnahmen in Detmold gestellt.
- Lemgo: Der Standort Lemgo würde sich hingegen zu einem Krankenhaus der Grundversorgung mit Notfallversorgung, stationären Fachkliniken sowie ambulanten Angeboten weiterentwickeln. Konkret würden in Lemgo stationär verbleiben:
- Allgemeine Innere Medizin,
- eine Allgemeine Chirurgie (neu aufgebaut oder bestehend aus Thoraxchirurgie und Gefäßchirurgie),
- eine Intensivmedizin,
- eine Notfallgrundversorgung,
- die Geriatrie,
- die Nuklearmedizin,
- die Radiologie,
- die „Weaning“-Abteilung (Beatmungsentwöhnung),
- das Labor
- und die Krankenhausapotheke.
Ergänzt wird das Ganze mit ambulanten oder sektorenübergreifenden Angeboten. Welche genau in Lemgo entstehen könnten, muss erst noch genauer geprüft werden. Denkbar sind Hochschulambulanzen (als Uniklinikum darf das Klinikum Lippe in seinen universitären Feldern wie Urologie, Kardiologie oder Gynäkologie ambulante Facharzttermine für die Bevölkerung anbieten – ein großer Vorteil gegenüber normalen Krankenhäusern), eine Pflegeschule oder in Absprache mit der Kassenärztlichen Vereinigung und der Stadt Lemgo einzurichtende Hausarztpraxen (als Ärztehaus oder MVZ).
- Kurzfristige Prüfung: Verlagerung der Thoraxchirurgie und der Gefäßchirurgie wird unter wirtschaftlichen, personellen und medizinischen Gesichtspunkten noch einmal bis Januar 2025 genauer untersucht.
Hintergrund: Darum ist die Neuausrichtung des Klinikums Lippe notwendig
Die personelle und finanzielle Situation der Krankenhäuser sei bundesweit existenzbedrohend. Allgemein herrsche ein großer Fachkräftemangel im medizinischen und im pflegerischen Bereich, heißt es in der Mitteilung des Kreises Lippe. Doppelstrukturen und Personal für zwei Standorte vorzuhalten, sei eine enorme Herausforderung. Das führe dazu, dass es beispielsweise am Standort Lemgo schon heute nicht genügend Anästhesisten gebe. Diese Herausforderung werde das Klinikum Lippe durch den Erhalt einer Notfallversorgung in Lemgo weiter meistern müssen.
Hinzu komme, dass die Kosten deutlich stärker angestiegen seien als die Erlöse – diese Schere gehe immer weiter auseinander (zuletzt lag die Differenz-Spanne bei 42 Prozent). 80 Prozent der Krankenhäuser in Deutschland machten teils hohe Verluste. Auch das Klinikum Lippe gehöre dazu, das bis 2022 noch schwarze Zahlen geschrieben hatte. Das habe Folgen: 40 Kliniken mussten 2023 bereits Insolvenz anmelden – zwei davon in unmittelbarer Nähe in Paderborn und in Holzminden. Letztere gebe es inzwischen nicht mehr. In diesem Jahr werd sogar mit 80 Klinik-Insolvenzen gerechnet. Hier dürfe das Klinikum Lippe nicht dazugehören, weshalb eine Neuausrichtung notwendig sei. Dadurch solle das Klinikum in die Lage versetzt werden, mittelfristig wieder ohne Liquiditätshilfen des Kreises Lippe auszukommen. Dauerhaft sei das nicht zu leisten.
Auch aus diesen Gründen strebten Bund und Land umfangreiche Klinikreformen an, die vor Ort umgesetzt werden müssten. Die Reformen – die grundsätzlich eine Konzentration und Bündelung von Angeboten und Leistungen vorsehen – sollten trotz schwieriger personeller und finanzieller Rahmenbedingungen am Ende zu einer höheren Qualität in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung führen. Dabei sei Wohnortnähe nicht das entscheidende Kriterium, sondern die bestmögliche Behandlung der Menschen an Standorten, die möglichst viele medizinische Disziplinen und Felder abdecken und beherrschen (hohe Fallzahlen und medizinische Ausstattung).