Logan Paul, Youtube und der Tod der Empathie

Ich hat­te bis heu­te mit­tag noch nie etwas von Logan Paul[1]Logan Paul bei Wiki­pe­dia gehört. Wie wohl die meis­ten mei­nes Alters. Ich wünsch­te, es wäre dabei geblieben.

Aber dann habe ich auf The Atlan­tic einen Text über die­sen Video-Blog­ger aus Hol­ly­wood gele­sen.[2]The social-media-star and the sui­ci­de Und danach noch vie­les ande­re. Und ein paar Vide­os geschaut. Zunächst habe ich hier ledig­lich einen kur­zen Link zu der Geschich­te gepos­tet. Aber mir geht das seit­her nicht mehr aus dem Kopf.


Aus dem Ori­gi­nal-Video (bzw. aus einer sub­op­ti­ma­len Kopie) habe ich ein paar auf­schluss­rei­che Sequen­zen zusam­men­ge­schnit­ten. Sie zei­gen außer Logan Paul auch sei­ne Beglei­ter Andy Altig und Melis­sa Mar­quez. Die Qua­li­tät der Quel­le ist schlecht, aber es war das ein­zi­ge Exem­plar des Ori­gi­nals, das mir zur Ver­fü­gung stand. Auf You­tube war es ja längst gelöscht. Die Lei­che zei­ge ich selbst­re­dend nicht.

Man muss sich das auf der Zun­ge zer­ge­hen las­sen. Da reist ein – mit 22 Jah­ren auch nicht mehr eben blut­jun­ger – You­tube-Star, der es mit sei­nen spa­ßi­gen Clips auf schlap­pe 16 Mil­lio­nen zumeist min­der­jäh­ri­ger Fol­lower gebracht hat, nach Japan. Dort steu­ert er im alber­nen Out­fit eines Drei­jäh­ri­gen mit­samt sei­ner Entou­ra­ge, mit Video-Equip­ment und Cam­ping-Aus­rüs­tung im Gepäck, nahe des Ber­ges Fuji ziel­ge­rich­tet einen Wald an, in dem sich bekann­ter­ma­ßen sehr oft Men­schen das Leben neh­men. Nach nur weni­gen Schrit­ten durch das Unter­holz, kaum 30 Meter vom Park­platz ent­fernt, stößt er prompt auf einen jun­gen Mann, der sich eini­ge Stun­den zuvor an einem Baum erhängt hat.

Logan und sei­ne Trup­pe, dar­un­ter sein jün­ge­rer Bru­der Jake, fin­den ihn also. Als ers­te. Was dann folgt, ist der­ma­ßen unge­heu­er­lich, dass ich kaum glau­ben konn­te, was ich da sah.

Logan Paul amü­siert sich pri­ma direkt neben der Lei­che eines Selbst­mör­ders. Des­sen Sport­ta­sche ist links zu sehen.

Zwar alar­miert jemand die Poli­zei und Feu­er­wehr, aber in der Zwi­schen­zeit macht Logan das, was er immer macht. Albert rum. Lacht. Faselt irgend­wel­ches Zeug. Lässt den Leich­nam fil­men. Von ganz nah. So dass man die blau ange­lau­fe­nen, auf­ge­dun­se­nen Hän­de sehen kann. Er posiert vor dem Toten. Kichert. Macht Faxen. Zieht Gri­mas­sen. Ham­pelt mit sei­nem Quiet­sche­dings­bums um den Hals nahe der Lei­che herum.

Schwenk auf sei­ne Kum­pels. Dar­un­ter Logans Hiwi Andy Altig und eine jun­ge Frau, Melis­sa Mar­quez, offen­bar mit dem IQ einer Wäsche­klam­mer geseg­net. Auch die grie­nen. Fei­xen. Freu­en sich laut­stark, dass sie tat­säch­lich eine Selbst­mör­der-Lei­che gefun­den haben. Der Plan, der mit dem Aus­flug zum Wald der Selbst­mör­der in Aoki­ga­ha­ra[3]Der Wald von Aoi­ki­ga­ha­ra ver­folgt wur­de, ist aufgegangen.

Minu­ten­lang geht das so. Direkt neben der Lei­che des bekla­gens­wer­ten jun­gen Man­nes, des­sen Sport­ta­sche noch etwas hin­ter ihm steht. Nie­mand ver­schwen­det einen Gedan­ken dar­an, dass da ein Mensch hängt – außer in der Art von »Wow, krass. Das ist mei­ne ers­te Lei­che. Höhö!!«. Nie­mand zeigt auch nur einen Hauch von Empa­thie – nicht mit dem Opfer, nicht mit des­sen Familie.

Für mich fast noch ekel­haf­ter als Logans Auf­tritt ist das ser­vi­le Ver­hal­ten sei­ner Kum­pa­ne, die offen­sicht­lich sehr dar­auf bedacht sind, ihrem Boss zu gefal­len. Nie­mand kommt auf die ein­zig rich­ti­ge, die ein­zig denk­ba­re Idee – den Dreh sofort abzu­bre­chen. Das »Damit kom­men wir ganz groß raus!« dringt allen Betei­lig­ten aus jeder Pore. Und genau so wird ja auch spä­ter der Clip von Logan geteasert. Spä­tes­tens von da an kann es kei­ne Aus­re­den mehr geben. Eine Ent­schul­di­gung auch nicht.

Übri­gens hat­te auch Altig unter dem begeis­te­rungs­schwan­ge­ren Titel “WE FOUND A DEAD BODY!!! **emo­tio­nal**” eine eige­ne Ver­si­on des Trips zum japa­ni­schen Selbst­mör­der­wald online, hat sie aber bald gelöscht.[4]New York Maga­zi­ne Nun stellt er sich tot und hofft offen­bar, dass Gras über die Sache wächst. Für eine Stel­lung­nah­me, geschwei­ge denn eine Ent­schul­di­gung hat es bei ihm und sei­ner Hul­da nicht gereicht.

This is not click­bait. This is the most real vlog I’ve ever pos­ted to this chan­nel. Logan Paul

Man könn­te unter­stel­len, dass sich die Reak­ti­on von Logan und des­sen Entou­ra­ge zumin­dest teil­wei­se als »ner­vö­ses Lachen«, als einer uner­war­te­ten Situa­ti­on geschul­de­te über­spann­te Reak­ti­on, dekla­rie­ren lässt. Wer sich das Video genau und mehr­mals ansieht, stellt aber fest, dass dem nicht so ist. Oder wenn, dann nur anfangs, ganz kurz. Tat­säch­lich ist dem You­tube-Star völ­lig klar, was er da tut. Und er genießt es. Viel zu lange.

Mal ganz abge­se­hen davon, dass auch spä­ter noch reich­lich Zeit gewe­sen wäre, das Gese­he­ne zu bespre­chen und – selbst­ver­ständ­lich – zu ent­schei­den, dar­aus kei­nen Bei­trag zu machen. Das aber ist nicht gesche­hen. Die Ver­su­chung war für die publi­ci­ty-gei­le Trup­pe offen­bar zu groß. Clicks sind Geld.

Und damit kom­men wir zum min­des­tens eben­so bedrü­cken­den Teil der Geschich­te. Das Video wird geschnit­ten, bear­bei­tet, mit ein paar pseu­do-nach­denk­li­chen Auf­sa­gern gar­niert – und dann an die­sem Sonn­tag bei You­tube online gestellt. Bis es dann am Mon­tag wie­der gelöscht wird – unklar, ob auf Betrei­ben You­tubes oder aus eige­nem Ent­schluss, wie Logan behauptet.

Bis der mas­si­ve Shit­s­torm, mit dem sich Logan kon­fron­tiert sieht, aber Wir­kung zeigt und das Video ver­schwin­det, haben es an die 6 Mil­lio­nen Nut­zer gese­hen – und nicht weni­ge gelik­ed. Logan sieht sich schließ­lich, zu meh­re­ren Ent­schul­di­gungs­auf­trit­ten ver­an­lasst. Scheib­chen­wei­se. In dem Maße, in dem sich das öffent­li­che Dra­ma zuspitzt, ändert sich Logans Ton. Nach ein paar dür­ren, nichts­sa­gen­den Zei­len anfangs fol­gen fil­mi­sche Auf­trit­te, in denen der You­tuber den Ver­zwei­fel­ten mimt und um Ver­zei­hung bittet.

Wie ernst man die­se Ent­schul­di­gung neh­men soll­te? Gar nicht, ver­mu­te ich. Schließ­lich hat Logan sogar damit noch Geld ver­dient, indem er für den Sor­ry-Clip Anzei­gen zuließ.[5]Öffent­li­che »Reue« zu Geld gemacht[6]Logan Pauls You­tube-Ein­nah­men

Goofy dude with BIG goals. May­be no more…

Nicht jeder scheint bereit, sie zu gewäh­ren, Die Reak­tio­nen vie­ler sind gna­den­los. Und ver­dient. Vie­le Fans aber ver­tei­di­gen Logan auch. Und nicht nur das. Sie atta­ckie­ren und bedro­hen sei­ne Kri­ti­ker. In den Kom­men­tar­spal­ten der Medi­en, die über den Fall berich­ten. Aber auch bei You­tube selbst. Das lässt tief blicken.

Spä­tes­tens da stellt sich bald ein scha­ler Bei­geschmack ein. Das glei­che zu Goog­le gehö­ren­de Unter­neh­men, das Logan groß gemacht und die­sen unsäg­li­chen Bei­trag ver­öf­fent­licht hat und davon pro­fi­tier­te, pro­fi­tiert nun auch wie­der auf meh­re­ren Ebe­nen von der wüten­den Dis­kus­si­on. Sind letzt­lich alles nur Clicks, die sich mone­ta­ri­sie­ren las­sen. Das nennt man wohl eine Win-Win-Situation.

Und Logan Paul? Die­ser Schwach­kopf ist ein Rol­len­vor­bild, ein soge­nann­ter Influen­cer – Beein­flus­ser – mit Mil­lio­nen Bewun­de­rern auf allen ange­sag­ten Kanä­len, die es online so gibt. Ernsthaft?

Mei­ne Abscheu kennt kei­ne Grenzen.

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