Nuklearer Terror

Cat­te­nom, Pannenmeiler.

Gera­de sehe ich auf Arte einen Bericht über die Gefah­ren des nuklea­ren Ter­ro­ris­mus. Ein der drei Grup­pen, die ernst­haft ver­sucht haben, sich ange­rei­cher­tes Uran zu beschaf­fen, war – neben Al Kai­da und IS – die japa­ni­sche Sek­te Aum Shin­ri Kyo. Die hat sich letzt­lich auf Gift­gas ver­legt. Und das auch durchgezogen.

Bei die­ser Gele­gen­heit habe ich fest­ge­stellt, dass es bei den ältes­ten mei­ner Tex­te, die sich über­haupt online fin­den las­sen (dar­un­ter auch ein Kom­men­tar), eben­falls um die japa­ni­sche End­zeit­sek­te von Sho­ko Asa­ha­ra und deren Anschlag auf die Tokyo­ter U‑Bahn ging. Ich erin­ne­re mich noch gut.

Ich habe sie mal von Reli­gio kopiert. 

Sek­te ver­spricht mehr Leben Lebens­sinn
Aus: ‑Westfalen-Blatt-23–03-95-
Die bud­dhis­ti­sche japa­ni­sche Sek­te Aum Shin­ri Kyo (Erha­be­ne Wahr­heit) wur­de vor neun Jah­ren gegründet.Sie hat in Japan nach eige­nen Anga­ben 10.000 Mit­glie­der und unter­hält auch Nie­der­las­sun­gen in Bonn und in Ruß­land, wo sie 30.000 Anhän­ger zählt. Dort strahlt Aum Shin­ri Kyo seit 1993 täg­lich ein drei­stün­di­ges Fern­seh­pro­gramm in rus­si­scher Spra­che aus. Nach Pres­se­be­rich­ten ist die Sek­te extrem Öffent­lich­keits­scheu und gewährt nicht ein­mal Mit­ar­bei­tern der Stadt­wer­ke Zutritt zu ihren Zen­tren zum Able­sen der Zäh­ler­stän­de für Strom, Gas und Was­ser. Die Sek­te umwirbt ihre Anhän­ger mit dem Ver­spre­chen, sie fän­den mehr Erfül­lung und Lebens­sinn beim Zusam­men­le­ben und gemein­sa­men Medi­tie­ren in Land­kom­mu­nen. Der har­te Kern der Sek­te umfaßt etwa 800 Mit­glie­der, die die­se Lebens­form auf abge­le­ge­nen Gehöf­ten bereits prak­ti­zie­ren. Die Gemein­schaft betreibt eine Com­pu­ter­fir­ma sowie Lebens­mit­tel­be­trie­be und meh­re­re Restau­rants. 1990 kan­di­dier­te der bär­ti­ge Sek­ten­grün­der Sho­ko Asa­ha­ra mit für das Par­la­ment. Asa­ha­ra, dem eine guru­ähn­li­che Funk­ti­on inner­halb der Grup­pe zukommt, ver­tritt eine End­zeit­leh­re, nach der der Welt­un­ter­gang nahe bevor­steht. Er behaup­tet, er habe die para­psy­cho­lo­gi­sche Fähig­keit, im Raum frei schwe­ben zu kön­nen. 1993 beklag­ten sich 100 Nach­barn des Anwe­sens von Aum Shin­ri Kyo im Tokio­ter Stadt­teil Koto mehr­fach über Augen­bren­nen und Brech­reiz. Die­se sei­en auf schäd­li­che Emis­sio­nen zurück­zu­füh­ren, die auf den Lie­gen­schaf­ten der Sek­te frei­ge­setzt wür­den. Seit dem Gas­an­griff auf die Tokio­ter U‑Bahn erschei­nen die­ses Beschwer­den in einem ande­ren Licht. Unmit­tel­bar nach dem Anschlag ver­öf­fent­lich­te die Sek­te eine Erklä­rung, in der sie eine Ver­wick­lung bestritt und die Regie­rung beschul­dig­te, hin­ter der Tat zu ste­cken. Nun wer­de der Ver­dacht auf Aum Shin­ri Kyo gelenkt, damit man sie bes­ser unter­drü­cken kön­ne. Japans Poli­zei stellt Gift­stof­fe sicher Raz­zia gegen Sek­te: »Hal­tet euch bereit zum Ster­ben«. Die japa­ni­sche Poli­zei hat bei der Suche nach den Gift­gas­at­ten­tä­tern von Tokio in den Gebäuä­en der Sek­te Aum Shin­ri Kyo 34 Behäl­ter des gif­ti­gen Lösungs­mit­tels Ace­to­ni­tril gefun­den. Das Mit­tel mit Rück­stän­den des Ner­ven­ga­ses Sarin war nach dem Anschlag auf Toki­os U‑Bahn-Sys­tem in den Wag­gons gefun­den wor­den. Die Zahl der Anschlag­op­fer stieg auf zehn. Meh­re­re Sek­ten­mit­glie­der wur­den fest­ge­nom­men. Die Poli­zei hat bei der Durch­su­chung 50 Men­schen in völ­lig unter­ernähr­tem und koma­ähn­li­chen Zustand ent­deckt. 2.500 Poli­zei­be­am­te durch­such­ten 25 Gebäu­de der Sek­te in Tokio und in dem Dorf Kami­ku-Ish­hi­ki. Unter­stützt wur­den sie dabei von einer Armee-Ein­heit für che­mi­sche Kampf­mit­tel. Den bär­ti­gen Anfüh­rer der Sek­te, Sho­ko Asa­ha­ra, der von sich behaup­tet, er kön­ne schwe­ben, fand die Poli­zei nicht. In ihrem 100 Kilo­me­ter west­lich von Tokio gele­ge­nen Haupt­quar­tier erklär­te die Sek­te, die Grün­de für die Durch­su­chung sei­en aus den Fin­gern geso­gen und Teil einer Ver­fol­gungs­kam­pa­gne. Die Poli­zei sei gewalt­sam ein­ge­drun­gen und habe die For­de­rung von Aum-Shin­ri-Kyo-Mit­glie­dern miß­ach­tet, die Durch­su­chung über­wa­chen zu dür­fen. Aum Shin­ri Kyo heißt soviel wie »höchs­te Wahr­heit«. Dem zeit­glei­chen Anschlag auf fünf U‑Bahnzüge vom Mon­tag fie­len bis ges­tern zehn Men­schen zum Opfer. Mehr als 5.500 Pas­sa­gie­re und U‑Bahnpersonal wur­den ver­letzt. In 70 Fäl­len ist die Situa­ti­on noch kri­tisch. Die Poli­zei war im Zusam­men­hang mit einem Ent­füh­rungs­fall auf die Sek­te gesto­ßen. Der 69jährige Kiyo­shi Kari­ya war am 28. Febru­ar zuletzt gese­hen wor­den, als er in der Nähe sei­ner Woh­nung von vier Män­nern in einen Lie­fer­wa­gen gedrängt wur­de. Zu der Zeit ver­such­te sei­ne jün­ge­re Schwes­ter, sich von der Sek­te zu lösen, nach­dem sie ihr Ver­mö­gen gespen­det hat­te. Sho­ko Asa­ha­ra hat sich über Rund­funk an sei­ne Anhän­ger gewandt und sie auf­ge­for­dert, sich auf den Tod vor­zu­be­rei­ten. Die bud­dhis­ti­sche Aum-Sek­te hat eine Nie­der­las­sung in Deutsch­land. Von dem Haus im Bon­ner Stadt­teil Ende­nich wur­de ges­tern die Täter­schaft an dem Anschlag bestrit­ten. Außer­dem wur­de demen­tiert, daß in Japan ein Mas­sen­selbst­mord von Sek­ten­mit­glie­dern geplant war. Am Nach­mit­tag war das Haus verlassen.

Wahn­sinn. Kom­men­tar von Micha­el Kai­ser
Kom­men­tar Aus: ‑Westfalen-Blatt-23–03-1995-
Das Schlüs­sel­wort zum Ver­ständ­nis der Tat von Tokio – sofern es da etwas zu ver­ste­hen gibt – ist Wahn­sinn. Und zwar auf meh­re­ren Ebe­nen. Soll­te sich bewahr­hei­ten, daß eine Sek­te die mör­de­ri­schen Anschlä­ge ver­übt hat, so wäre die­ser hin­ter­häl­ti­ge Anschlag auf das Leben Unbe­tei­lig­ter ein wei­te­rer zwei­fel­haf­ter Höhe­punkt in einer Serie von Massen(selbst)morden und ande­ren Wahn­sinns­ta­ten. Wenn es wirk­lich die Anhän­ger der Sek­te »AUM Shin­ri Kyo« waren, die bis­lang zehn Men­schen mit Gift­gas getö­tet und an die 5.000 ver­letzt haben, so wäre es ange­bracht, den Namen der Grup­pe nicht mit »Erha­be­ne Weis­heit«, son­dern mit »Gip­fel des Irr­sinns« zu über­set­zen. Ver­blen­det, der Welt ent­rückt, letzt­lich wohl ver­rückt – nur aus einer sol­chen Geis­tes­hal­tung her­aus läßt sich ein der­ar­ti­ger Anschlag pla­nen, des­sen »Sinn« sich Anders­den­ken­den wohl nie erschlies­sen wird. Doch etwas ist anders in die­sem Fall.

Anders als beim Mas­sen­selbst­mord Guya­nas in Jones­town im Dschun­gel Guya­nas mit 925 Toten, anders als beim Feu­er­tod von mehr als 80 Davi­dia­nern, die sich schwer bewaff­net im texa­ni­schen Waco ver­schanzt hat­ten, anders auch als beim Sui­zid der »Son­nen­temp­ler« in der Schweiz und Kana­da. Hier rich­te­te sich der zer­stö­re­ri­sche Wahn der Sek­tie­rer nicht gegen sich selbst, son­dern im vol­len Bewußt­sein der mög­li­chen Aus­wir­kun­gen auf Tau­sen­de nichts­ah­nen­der Men­schen in einer Untergrundbahn.

Eine neue »Qua­li­tät« des Wahn­sinns, eine neue »Qua­li­tät« des Ter­rors – an der auch ande­re, poli­tisch moti­vier­te Über­zeu­gungs­tä­ter Geschmack fin­den könn­ten. Wahn­sinn hat vie­le Gesich­ter. Und die Mög­lich­kei­ten, sich vor sol­chen Irr­sinns­ak­ten zu schüt­zen, schei­nen gering – es sei denn, man erschü­fe eine glo­ba­len Über­wa­chungs­staat à la Orwells 1984. Wahn­sinn nicht zuletzt ist der Stoff, aus dem der Hor­ror ist: Gift­gas, unter allen grau­sa­men Mas­sen­tö­tungs­mit­teln viel­leicht das schlimms­te, als Ding an sich eine Aus­ge­burt kran­ken Den­kens. Das Sarin, wie in Tokio »ver­wen­det«, nicht so ein­fach her­zu­stel­len ist, stellt kei­nen Trost dar. Es gibt ande­re, wenn­gleich unwe­sent­lich weni­ger wirk­sa­me Stof­fe, die in bald jedem Küchen­la­bor und ver­gleichs­wei­se bil­lig zu fabri­zie­ren sind. Und es gib t die rie­si­gen Lager che­mi­scher und bio­lo­gi­scher Kampf­stof­fe. Im Osten wie im Westen.

Alle reden von der Pro­fi­le­ra­ti­on, der unkon­trol­lier­ten Ver­brei­tung nuklea­rer, waf­fen­fä­hi­ger Stof­fe. Wer spricht über die Mög­lich­keit, daß etwa arme Drit­te-Welt-Staa­ten sich des erpres­se­ri­schen Poten­ti­als bedie­nen könn­ten, um sich gegen die tat­säch­li­che oder ver­meint­li­che Vor­herr­schaft der rei­chen Län­der zu wehren?

So hat die Tat von Tokio wenigs­tens ein Gutes: Sie erin­nert an den flüs­si­gen, gas­för­mi­gen, krab­beln­den und strah­len­den Wahn­sinn, den es aus der Welt zu schaf­fen gilt.

Aus: ‑Westfalen-Blatt-23–03-95-

Shin­ri Kyo. Sek­te ver­spricht mehr Leben Lebens­sinn.
Die bud­dhis­ti­sche japa­ni­sche Sek­te Aum Shin­ri Kyo (Erha­be­ne Wahr­heit) Aus: ‑Westfalen-Blatt-24–03-95-
Wei­te­re Gift­fun­de bei Sek­te Meh­re­re Hun­dert­schaf­ten der Poli­zei im Ein­satz. – Drei Tage nach dem Gift­gas­an­schlag von Tokio hat sich der Ver­dacht gegen die japa­ni­sche Sek­te Aum Shin­ri-Kyo (Letz­te Wahr­heit) erhär­tet. Bei der erneu­ten Durch­su­chung eines Gebäu­de­kom­ple­xes in einem Dorf etwas 100 Kilo­me­ter west­lich von Tokio stell­te die Poli­zei ges­tern Che­mi­ka­li­en sicher, die nach Ansicht von Exper­ten die wich­tigs­ten Bestand­tei­le des Ner­ven­ga­ses Sarin sind. Die­ses war bei dem Anschlag in der Tokio­ter U‑Bahn benutzt wor­den. In Hiko­ne nahm die Poli­zei ein Sek­ten­mit­glied fest, in des­sen Auto eine Gas­mas­ke und eine zunächst unbe­kann­te Flüs­sig­keit sicher­ge­stellt wur­den. Meh­re­re Hun­dert­schaf­ten der Poli­zei durch­such­ten am zwei­ten Tag in Fol­ge das Sek­ten-Zen­trum im Dorf Kami­ku Isshi­ki, wo sie auf Behäl­ter mit Sodium­fluo­rid und Phos­phor­tri­chlo­rid stie­ßen. Bei­de Che­mi­ka­li­en sind not­wen­dig, um das töd­li­che Ner­ven­gift Sarin her­zu­stel­len. Mit dem Fund sei die Wahr­schein­lich­keit erheb­lich gestie­gen, daß die Sek­te Sarin pro­du­ziert oder dies zumin­dest beab­sich­tigt habe, sag­te der Che­mie-Pro­fes­sor Hiden­ori Watana­be von der Uni­ver­si­tät Tokio. Shin­ri Kyo Sek­te ver­spricht mehr Leben Lebens­sinn Die bud­dhis­ti­sche japa­ni­sche Sek­te Aum Shin­ri Kyo (Erha­be­ne Wahrheit)

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