»Da findet der auch alleine hin.«
Eigentlich ist es schade, dass ausgerechnet dieser Satz die letzte Erinnerung an die Station 15 im Augenzentrum des Franziskus-Hospitals in Münster markiert. Aber so ist es nun mal. Geschehen am Freitag, 15. Mai 2020, kurz vor Mittag.
»Der« war ein Patient, frisch operiert an beiden Augen wegen Netzhaut- und Fovea-Ablösung – also akut drohender Erblindung zumindest auf dem linken Auge. Ein Notfall. Das rechte war auch prophylaktisch operiert worden – wenn auch nicht so invasiv -, weil dort dasselbe droht. Jedenfalls sah der Patient, als er entlassen wurde, auf dem linken Auge gar nichts außer hell und dunkel und auf dem rechten auch nur sehr wenig. Und das Wenige alles unscharf.
»Da« war die Eingangshalle der Klinik.
Zuvor schon war besagter Patient, der, nebenbei bemerkt, den nicht geringen Satz der Privatpatienten zahlt, von der kleinen rumänischen Putzfrau aus dem Zimmer geschmissen worden. Zumindest beinahe. Vielleicht half es ihm ein wenig, dass er sie und ihre junge Kollegin auf Rumänisch ansprach.
»Ist kein Hotel hier«, sagte sie. Als der Patient seine Sprachlosigkeit überwunden hatte, ließ er sie wissen: »Ein Hotel wäre auch billiger.«
Die Putzkraft feudelte beherzt um seine hilfreich hochgehobenen Füße herum, dachte über den deutsch-rumänischen Input nach und beschied ihn dann gnädig: »Okay, können Sie bleiben bis 12 Uhr.«
Der Patient war natürlich dankbar und saß weiterhin in seinem Zimmer Nr. 14 – das mit dem schief hängenden Kruzifix (ein Omen?) – und harrte auf gepackten Koffern der Dinge, die da kommen würden.
Bis eine Krankenschwester ihn bat, in eine »Lounge« umzuziehen. Es war noch lange nicht 12 Uhr. In Praxen herkömmlicher Provenienz wäre das Kabuff schlicht einfach ein Wartezimmer. Höchstens. Den Corona-Mindestabstand einzuhalten, fiel dort schon schwer.
Zwischenzeitlich aber hatte der Patient nach einer Visite durch Dr. med. Georg Spital und die (arabische) Stationsärztin, die sich nicht einmal den Namen des Patienten merken bzw. ihn ablesen konnte, seine Entlassungspapiere erhalten, und seines Bleibens war hier ohnehin nicht länger. Gott sei Dank! Nichts wie weg!
Wertschätzung des Menschen und wissenschaftliche Neugier. LOL.
Nun stand er also mit seinem Koffer am Tresen der Station 15 und fragte höflich, ob man ihm ein Taxi rufen könne. Dafür solle er sich mal besser in die Haupthalle der Klinik verfügen, hieß es. Da könne er das selbst machen.
»Okay, kein Problem«, sagte der Patient und fragte: »Wo ist denn das?« Er war ja weder aus Münster, noch war er jemals in diesem Krankenhaus gewesen, noch wusste er, wo genau er sich in dem weitläufigen Klinik-Komplex befand.
Und außerdem, es sei daran erinnert, sah er nur knapp 20 Stunden nach seiner Operation auf einem Auge gar nichts und auf dem anderen nur sehr wenig.
»Ich bringe Sie hin«, erbot sich sofort ein freundlicher junger Mann, der neben einer Gruppe von 3, 4 (examinierten?) coronabedingt maskierten Krankenschwestern stand und die Situation sofort erfasste.
Und dann sagte eine von denen aus dem blonden Block diesen denkwürdigen, höhnischen Satz: »Da findet der auch alleine hin.«
Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen.
Da meint eine Krankenschwester auf einer Nachsorgestation einer eigentlich renommierten Augenklinik in Münster nicht nur, einem an beiden Augen frisch operierten Patienten, der darüber hinaus u.a. mit Polyarthritis, Schlaganfall, Fibromyalgie, chronischen Schmerzen, Polyneuropathie und daraus insgesamt resultierender Gangunsicherheit (Ataxie) gesegnet ist, die nötige Hilfe verweigern zu sollen.
Nein, sie bringt sogar die Energie auf, ihren Kollegen, einen FSJler oder BFDler, dazu zu überreden, nicht seinem empathischen Impuls zu folgen und dem Patienten nicht zu helfen.
Ernsthaft?
Der junge Mann indes erweist sich dankenswerterweise als standfest und tut zum Glück einfach, was ihm sein verlässlicher, moralischer Kompass sagt. Die Schwester darauf hörbar enttäuscht: »Na, dann mach, wenn de meinst…«
Der Patient ist unendlich dankbar für die Begleitung durch den Helfer. Und genau so verstört wegen des hinterfotzigen, bösartigen Verhaltens der sogenannten »Krankenschwester« in einem sich als christlich (!) verstehenden Krankenhaus.
»Habe ich mich etwa unbeliebt gemacht? Womit?«, fragte sich der Patient natürlich. Dafür aber wäre jedoch schlicht gar nicht genug Zeit gewesen. Chaotische Aufnahme, OP, Schlafen, Entlassung. Nicht mal 24 Stunden alles in allem.
Und in seinem Kopf wandert der Patient 42 Jahre zurück in die Zeit, als er selbst Zivildienstleistender im damaligen Kreiskrankenhaus Detmold war, als Springer im alten OP II bei Oberpfleger Menke und als Pfleger auf der Dialysestation bei Stationsschwester Heidi. Und er fragt sich, ob eine Situation vorstellbar wäre, in der er selbst sich so verhalten oder eingelassen hätte wie diese boshafte, komplett empathiebefreite Tussi von der Station 15 der Augenklinik am St. Franziskus-Hospital in Münster. Und die Antwort lautet eindeutig: Niemals, völlig unvorstellbar!
Warum also tut sie das? Beruf verfehlt? Charakterlich ungeeignet? Oder nur vorübergehend akut menstruativ beeinträchtigt?
Vielleicht wäre die Dame als Helferin in der Prosektur dauerhaft besser aufgehoben als in einer Station, wo sie mit lebenden, fühlenden Menschen zu tun hat. Dort wären ihre Patienten genauso kalt wie sie selbst. [1]Die Rache des kleinen Mannes: Das Internet vergisst nie… [2]Und: Karma is a bitch!
Zum Glück gab es da noch die andere Schwester auf der 15, die mit dem kecken roten, schwer zu bändigenden Haarschopf zum Beispiel. Nicht nur war sie zuvor schon sehr freundlich und hilfsbereit gewesen – wie auch andere MitarbeiterInnen dieses Hauses. Sie rief dem Patienten, als der auf dem Weg aus der Klinik mit seiner FSJ-Begleitung vor dem Fahrstuhl stand, bei einem zufälligen letzten Treffen ein mitfühlendes und von Herzen kommendes »Alles Gute für Sie!« zu.
Und der Patient dachte: »Danke! Gut, dass es hier auch solche Menschen gibt.« [3]Übrigens: Medizinisch, rein technisch gesehen, scheint die OP durch Prof. Dr. Albrecht Lommatzsch geglückt. Was sie gebracht hat, wird man erst in ein paar Wochen wissen.