Gut, dass Rotmilan, Bechsteinfledermaus und Grauspecht nicht lesen können. Sie wären erstaunt, was Menschen so über sie schreiben, die sich anmaßen zu entscheiden, ob sie leben oder sterben sollen.
»Gutachten« nennt sich so etwas in Deutschland. Oder manchmal auch »Artenschutzrechtlicher Fachbeitrag«. 84 Seiten hat das Papier, mit dem Projektbetreiber »WestfalenWind« sich von einem Bielefelder Landschaftsarchitekten und Umweltplaner bescheinigen lässt, dass 13 gigantische Industriewindanlagen von 255 Metern Höhe auf dem Kamm des Teutoburger Waldes in Schlangen, Detmold und Horn-Bad Meinberg kein Problem sind. Jedenfalls kein unüberwindbares. Ein paar zeitlich begrenzte Abschaltungen hier und da, dann sollte der Industrialisierung des Waldes im Besitz von Stephan Prinz zur Lippe zum Zwecke der Energiegewinnung nichts im Wege stehen. Wie praktisch.
Das Eintreten der Verbotstatbestände nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 (Töten und Verletzen), Nr. 2 (erhebliche Störung) und Nr. 3 (Fortpflanzungs- und Ruhestätten) BNATSCHG kann unter Anwendung der dargestellten Vermeidungsmaßnahmen und der fachgerechten Planung und Umsetzung von Ausgleichsmaßnahmen für die Errichtung und den Betrieb von 13 WEA für den Windpark „Gauseköte“ im Kreis Lippe abgewendet werden.[1]BNATSCHG=Bundesnaturschutzgesetz
Stellenweise ist es aber gar nicht mal so einfach nachzuvollziehen, wie wenig Rücksicht da am Ende auf Fauna und Flora genommen werden soll.
Das geht schon damit los, dass laut »WestfalenWind« lediglich devastierte (zerstörte) Waldflächen in Anspruch genommen werden sollen.
Davon ist offenkundig noch nicht einmal der Gutachter überzeugt, denn er (bzw. sie) schreibt:
Das Gebiet befindet sich somit derzeit im Wandel zwischen Fichtenforst, offenen Sukzessionsflächen und Wiederaufforstung.
Gleiches gilt für andere Absätze in dem Fachbeitrag, die die »Potenzialfläche des Windparks« beschreiben.
Der betrachtete Abschnitt des Teutoburger Waldes setzt sich aus einem Mosaik aus Fichtenforsten und Laubbeständen mit der Buche als Hauptbaumart zusammen (…). In Richtung Nordwesten werden die Bestände durch Kiefernwald ergänzt. Es sind vereinzelt Waldlichtungen vorhanden, die vorrangig als Äsungsflächen von Wild dienen (…). Das Gebiet wird durch zahlreiche, zum Teil alte Forst- und Wanderwege durchzogen.
Tatsächlich klingt es eher beunruhigend, wenn da festgehalten wird, im Rahmen der Bauphase würden Biotopstrukturen wie Nadelwälder, Laubwälder mittlerer Standorte sowie Magerwiesen- und weiden (Waldlichtungen) »durch Baumfällungen, Bodenabtrag und anschließender Bodenverdichtungen für die Herrichtung der Baustellen- und Einrichtungsflächen zum Teil dauerhaft verändert bzw. entfernt«.
Geplant sind 13 Anlagen des Typs E‑160 EP5 E2 der Firma ENERCON. Die WEA haben eine Nabenhöhe von 166,6 m, einen Rotordurchmesser von 160 m und eine Gesamthöhe von 246,6 m. Die untere Rotorhöhe der geplanten WEA liegt bei 86,6 m vom Boden.
Je nach WEA-Standort, heißt es dort im schönsten Planerdeutsch, werden »in den Randbereichen der Einrichtungsflächen junge Laubbaumbestände bzw. Fichtensukzessionsbestände entfernt«. Am Standort der »WEA 05 wird flächig die vorhandene Waldlichtung / Äsungsfläche (Magerwiese-/ weide) überplant«.[2]WEA=Windenergieanlage
Umstandslos wird da konstatiert:
»Eine besonderen Schutzwürdigkeit weist diese jedoch nicht auf. Durch die Baufeldräumung gehen Lebensräume von Tierarten verloren, die Gehölze und Krautbestände als Habitat nutzen.«
Alles letztlich eine Frage der technisch-ökonomischen Betrachtung. Fast so wie beim Kohle-Tagebau und dem »Hambi«, will mir scheinen.
Nicht weniger als 23 »planungsrelevante Tierarten« sind dem Papier zufolge bekannt. Dazu zählen
Abendsegler
Bartfledermäuse
Breitflügelfledermaus
Bechsteinfledermaus
Fransenfledermaus
Großes Mausohr
Langohrfledermäuse
Rauhautfledermaus
Wasserfledermaus
Zwergfledermaus
Baumpieper
Grauspecht
Goldammer
Habicht
Heidelerche
Kleinspecht
Mittelspecht
Rotmilan
Schwarzspecht
Sperber
Waldohreule
Kammmolch
Geburtshelferkröte
Weiter wird festgehalten, dass das Untersuchungsgebiet sich innerhalb eines Schwerpunktvorkommens des Rotmilans und Schwarzstorches als Brutvögel befindet. An die südwestliche Grenze der Potenzialfläche des Windparks grenze ein Schwerpunktvorkommen des Kranichs als Zugvogel an.
Und dann wären da noch Haselhuhn, Raufußkauz, Grauspecht, Waldkauz, Waldlaubsänger, Waldschnepfe … Und einige Arten, die nur unter »sporadisches Vorkommen« fallen und somit als »nicht betroffen« gelten.
Wobei sich lippische Experten nach jahrelanger Beobachtung fragen, wie man das bei einem eher kurzen Gastspiel sicher beurteilen will.
Wie Wildkatze und Luchse (»lediglich Nachweise zwei streifender Individuen ohne Lebensraumbezug (2015)« es finden, wenn ihr Lebensraum betoniert und geschottert wird, muss letztlich auch offen bleiben. So heißt es in Sachen Luchs:
Bei einem potenziellen Vorkommen der Wildkatze innerhalb der Potenzialfläche des Windparks könnte sich eine baubedingte Betroffenheit ergeben, wenn im Rahmen der Baufeldräumung- bzw. herstellung im Bereich der WEA-Standorte Fortpflanzungs- und Ruhestätten der Art zerstört werden.
Und zur Wildkatze:
Die Potenzialfläche des Windparks und des Untersuchungsgebiets stellt einen potenziellen Lebensraum der Wildkatze dar. Nächstgelegene Nachweise der Art in Form von Spuren und einer Lebensbeobachtung befanden sich im Jahr 2015 gemäß LANUV (2020F) und TRINZEN (2020) im Übergang des Teutoburger Waldes zum Eggegebirge südlich und östlich von Horn-Bad Meinberg, entsprechend im direkten räumlichen Verbund zum Untersuchungsgebiet. Südlich und östlich der Fundpunkte verdichten sich die Nachweise. Die Hauptverbreitungsgebiete befinden sich in der Eifelregion, dem Sauerland, der Egge und dem Oberwälder Bergland im Kreis Höxter.[3]LANUV=Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen[4]Manfred Trinzen
Realistischer Größenvergleich: der Hermann und ein »Windrad«. Könnten 13 neue Landmarken für den Vogelzug werden.
Und dabei werden die gefiederten Gäste, die, wie jeder Ortskundige weiß, jedes Jahr in großer Zahl durchziehen, in der artenschutzrechtlichen Betrachtung noch nicht mal berücksichtigt.
Der Zeitraum der Kartierungen erstreckte sich von Januar bis Juli 2020. Während der gesamten Kartierungen wurden sämtliche Hinweise auf wea-empfindliche Arten in den Untersuchungsgebieten aufgenommen. Da Wälder insbesondere für wea-empfindliche Rast- und Zugvögel keine ökologische Bedeutung besitzen, wurde auf eine Kartierung der Rast- und Zugvogelfauna verzichtet. Gemäß Leitfaden ist zudem eine „Erfassung des allgemeinen Vogelzug-Geschehens nicht erforderlich“ (LANUV, MULNV 2017).[5]MULNV=Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen
Wie praktisch.
Normalbürger gruselt es ein wenig bei Sätzen wie diesem:
Die durch den Betrieb von WEA entstehende Kollisionen aller flugfähiger Arten zählen zum allgemeinen Lebensrisiko.
Hm, Laien würden ja annehmen, dass dieses »allgemeine Risiko« ohne solche riesigen Vogel-Shredder-Maschinen doch sehr viel geringer wäre. Oder in großen Habitaten sogar gleich Null.
Zumal sich durch den Betrieb der Industriewindanlagen dem Gutachter zufolge ein erhöhtes Tötungs- und Verletzungsrisiko ergibt, weil manche Arten »kein oder wenig Meideverhalten zeigen (z.B. Rotmilan, Wiesenweihe)«. Neben Kollisionen mit den Rotorblättern oder dem Mast könne auch das sogenannte Barotrauma zu Individuenverlusten führen. Dieses bezeichne Verletzungen (z.B. an der Lunge) aufgrund plötzlicher Volumenänderung von Luft bzw. Gasen, »die durch starke Luftdruckänderungen im Bereich der Rotoren hervorgerufen werden.«
Klingt unschön.
Und selbst die Arten, die nicht gleich kurzerhand gekillt werden, sind betroffen. Weil sie die Gegend meiden. So wird betont: »Insbesondere Offenlandarten (z.B. Kiebitz) sind gegenüber vertikalen Strukturen besonders empfindlich. Die Silhouette einer WEA bzw. einer Windfarm kann dieses Meidungsverhalten hervorrufen, wodurch Lebensräume nachhaltig abgewertet werden. Durch den Bau von 13 WEA ist eine Zunahme der optischen Silhouetten- und Barrierewirkung auf empfindliche Tierarten durch die neu hinzukommenden vertikalen Strukturen (geplante WEA) gegeben.«
Sätze wie diesen, der sich auf den Uhu bezieht, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Und sich dabei vor Augen halten, dass hier die Rede von 13 jeweils 245 Metern hohen Riesenrotoren im Teuto die Rede ist:
Es wird davon ausgegangen, dass sich für den Uhu trotz der Lage des Untersuchungsgebiets in der kontinentalen Region kein erhöhtes Kollisionsrisiko durch die Planung ergibt. Da sich der nachgewiesene Brutplatz und das Revier auf der nordöstlichen Hangseite des Teutobuger (sic!) Waldes im Übergang zur freien Landschaft befinden, ist es wahrscheinlich, dass der Uhu die dort vorhandenen Jagdgebiete aufsucht und eher selten den Höhenrücken und somit die Potenzialfläche des Windparks quert. Darüber hinaus unterliegen auch Talflüge oder Flüge über Kuppen aufgrund der gewählten Standorte der WEA und des Abstands der Rotoren zum Boden keinem signifikantem (sic!) Kollisionsrisiko.
Hoffentlich wissen die Uhus das auch.
Tatsächlich lautet die fachliche Einschätzung schon lange:
Das Tötungsrisiko für Uhus an Windenergieanlagen ist hoch. Dieses zeigen die bisher bekannt gewordenen Totfunde. (…) Es sollten daher die Abstandsempfehlungen der LAG VSW (2007 und in Vorb.) beachtet werden. Das heißt, dass in einem Umkreis von 1000m um einen Uhu-Brutplatz keine WEA zugelassen werden sollten. Bei einem geringeren Abstand ist die Vermutung gerechtfertigt, dass die Anlage gegen das Tötungsverbot des §44 Abs.1 Nr.1 BNatSchG verstößt.
Der Einsatz von Klangatrappen – wie im Teuto praktiziert – wird in der Fachwelt sehr kritisch gesehen und gilt nicht als Nachweis für valide Erhebungen: »Die Erfassungen dürfen nicht auf den Einsatz von Klangattrappen reduziert werden, denn nicht alle Uhus reagieren auf Klangattrappen, manche antworten kaum oder reagieren mit Stillschweigen.«
Toter Rotmilan zwischen Industriewindanlagen in Nideggen-Berg in der Eifel. An Herzversagen wird er nicht gestorben sein. Und so sollte ein Rotmilan aussehen. Aber dafür müsste man ihn leben lassen und nicht dem Windwahn opfern.
Wenn das schon für den Uhu gilt, wieso nicht auch für Eule, Ziegenmelker und Waldschnepfe?
Der Rotmilan kommt in der Risikobewertung etwas besser weg – oder schlechter, je nach Standpunkt.
Die Art gilt als WEA-empfindlich, da sie scheinbar einem höheren betriebsbedingten Kollisionsrisiko unterliegt als andere Vogelarten und somit das Tötungsverbot betriebsbedingt grundsätzlich erfüllt sein kann.
Mäusebussarde sind angeblich im Teuto gar nicht betroffen. Dabei zählen sie zusammen mit dem Rotmilan überall zu den häufigsten Rotor-Opfern.
Etwa 10 Rotmilane über Berlebeck nahe der Adlerwarte. Vor vier Tagen aufgenommen.
Dem Gutachter zufolge reichen »artbezogene Betriebs- und Baufeldherrichtungsbeschränkung«, um im Teutoburger Wald das Unvereinbare doch vereinbar zu machen. Das heißt: Zeitlich begrenzte Abschaltungen. Die Betreiber ärgert das zwar, aber das Schmerzensgeld ist nicht zu verachten. Sie bekommen Hunderte Millionen Euro jedes Jahr. Werden die Windkraftanlagen abgeregelt, erhalten die Anlagenbetreiber eine Entschädigung in Höhe von 95 Prozent der entgangenen Einnahmen. Sobald die entgangenen Einnahmen ein Prozent der gesamten Einnahmen eines Jahres übersteigen, steigt die Entschädigung auf 100 Prozent. Bezahlen darf das der Verbraucher mit der Stromrechnung.[6]Quelle
Für erfahrene Tierschutz-Experten vor Ort ist das Resümee der Untersuchung höchst zweifelhaft. Einer sagte dem Pivit: »Die Zahl der Horste entspricht nicht mal der Hälfte von denen, die wirklich da sind – oder waren, falls die entsprechenden Bäume nicht gefällt wurden.«
Möglicherweise bald Geschichte: Freiflugvorführung der Adlerwarte Berlebeck. Viel zu gefährlich an Windrädern.
Nicht zuletzt: Es kommen natürlich in dem Papier Tiere nicht vor, die zwar nicht wild leben, aber deshalb nicht minder schützenswert sind. Detmold ist Sitz von Europas ältester Greifvogelwarte, ein touristischer Magnet für die Stadt, die sich (noch) die »Wunderschöne« nennt. Für die renommierte Einrichtung in Berlebeck mitsamt ihrer Aufzucht- und Pflegestation wäre der Bau der gigantischen Industriewindanlagen in unmittelbarer Nachbarschaft der Todesstoß.
Was muss eigentlich passieren, ehe sich die im Rat vertretenen Parteien in aller Klarheit und Eindeutigkeit für den Erhalt des Teuto aussprechen. Oder hat ihnen da etwa jemand ein paar Kekse aus der Prinzenrolle versprochen? Und eine Runde Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt auf dem Schlossplatz?
Detmold will keine WEA im Teutoburger WaldNein sagen
Nach intensivem Studium des Fachbeitrags wird einem klar: Hier geht es nicht um Artenschutz, um Tiere oder Pflanzen, um Biologie und Leben, nicht einmal ums Klima, schon gar nicht um Liebe zur und Respekt vor der Natur. Hier geht es einzig und allein um die »Vermeidung des Eintretens der Verbotstatbestände«. Mit dem geringsten vertretbaren Aufwand.[7]Das Windstromkartell
Ich bin fassungslos, mir laufen unweigerlich die Tränen,
DAS DARF NICHT PASSIEREN!!!
Herzlichen Dank für diesen Artikel!
Ich werde alles mir mögliche tun, um diese Katastrophe zu verhindern.
Nicht weinen, Eva. Mit Tränen in den Augen sieht man nicht mehr gut. 🙂
Lieber teilen und möglichst viele Leute sensibilisieren.
LG, Micha