Wenn es um aktuelle Planungsvorhaben im Kreis Lippe geht, spielt das »Beller Feld« bei Horn-Bad Meinberg derzeit stets eine tragende Rolle. Sei es bei den Plänen für das gigantische Logistikzentrum von Amazon, sei es bei dem laufenden Vorhaben, dort im Industriepark eine Anlage zur Behandlung von Altreifen anzusiedeln. Dabei soll ein Pyrolyseverfahren zum Einsatz kommen, wie schon einmal kurz berichtet. Auch dieser Plan bereitet nicht wenigen Bürgern Unbehagen. Sie befürchten eine Art Müllverbrennung durch die Hintertür auf dem »Beller Feld«.
Die Stadtverordnete der Linken Diana Ammer hat – ähnlich wie schon zum Amazon-Logistikzentrum – einen Fragenkatalog formuliert und dem Bürgermeister Dieter Krüger vorgelegt.
- Welche Firma ist am Bau einer solchen Anlage im Industriepark Lippe interessiert?
- Welches Verfahren soll angewendet werden?
- Wie viele Reifen sollen verarbeitet werden?
- Sollen diese Reifen hier verarbeitet bzw. geschreddert werden, oder ist geplant, eventuell sogar aus dem Ausland, fertiges Granulat anliefern zu lassen?
- Was ist wahr an dem Gerücht, dass die Stadt hier den Bebauungsplan durch die Zulässigkeit einer Pyrolyseanlage erweitert, um durch zusätzliche Emissionskontingente den Status eines Industriegebietes zu erhalten?
- Für die Ansiedlung eines Logistikunternehmens ist eigentlich eine Gewerbefläche hinreichend, in Industriegebieten sollen vorzugsweise Produktionsbetriebe ansiedeln. Die Emissionsmengen, Umweltbelastungen und andere Voraussetzungen für die Genehmigung und Betrieb eines Industriegebietes werden durch Amazon nicht erreicht.
- Ist die Ansiedlung von Amazon so überhaupt genehmigungsfähig und/oder droht ohne die Errichtung einer Pyrolyseanlage die Rückzahlung von Fördergeldern von Land, Bund und EU?
Der SPD-Politiker hat die Anfrage beantwortet. Der Kiebitz dokumentiert die Stellungnahme, jeweils ergänzt um die Einschätzung der Ratsfrau und fachliche Anmerkungen von Dipl.-Ing. Uwe Hartmann. [1]von der ortsansässigen Impellis GmbH
Ihre Fragen zur Pyrolyse können wir wie folgt beantworten:
Für die Aufstellung des Angebotsbebauungsplans ist es unerheblich welches Unternehmen dort später ansiedelt. Der Betrieb muss die vorgegebenen Voraussetzungen des B‑Plans erfüllen. Die Entscheidung über eine Unternehmensansiedlung erfolgt im Rahmen des Grundstückverkaufs.
Zu dem Zeitpunkt wird das Unternehmen und die Rahmenbedingungen vorgestellt.
Derzeit wird ein Bebauungsplan aufgestellt, der den Rahmen für Unternehmensansiedlungen vorgibt, u. a. sollen auch Betriebe ansiedeln können, die mit Pyrolyse arbeiten.
Damit kann, wenn man den Wortlaut des B‑Plans folgt, dort nicht nur ein Reifenrecycler sondern auch eine Müllverbrennungsanlage aufgestellt werden: das sind in der Regel auch Pyrolyseanlagen.
Hier die Angaben zu einem möglichen Investor:
Welche Firma ist am Bau einer solchen Anlage interessiert?
Nach Rücksprache mit dem Investor möchte die Firma in diesem Stadium noch nicht genannt werden. Diese Information würde bei einem eventuellen Grundstücksverkauf erfolgen.
Es verwundert doch sehr und ist nicht vertrauensfördernd, wenn ein solches Unternehmen nicht ein immenses Interesse daran hat, bereits frühzeitig durch Transparenz die Akzeptanz der Öffentlichkeit zu suchen. Und auch die Politik, die demokratisch gewählten Verantwortlichen werden hier bewusst nicht informiert.
Welches Verfahren soll angewendet werden?
Zur Anwendung kommt ein thermokatalytisches kontinuierliches Verfahren. Durch das geschlossene kontinuierliche Verfahren wird der Pyrolyse-Prozess emissionsfrei. Lediglich die BHKW emittieren Verbrennungsgase im üblichen Rahmen. Der Prozess ist außerdem energetisch hocheffizient, weshalb die Versorgung eines Nahwärmenetzes möglich ist.
Pyrolyseverfahen sind solche, bei denen mit Hilfe von Sauerstoff Substrate unvollständig verbrannt werden und mit der dabei entstehenden Wärme das Substrat erwärmt wird und ausgast. Bei diesem Prozess entstehen u.a. auch teerförmige Produkte, die zu einer ganzen Reihe von teuren Maßnahmen führen, z.B. zu einem hohen Wartungsaufwand und Risiken im Prozess der verschiedenste Risiken bei der Produktion beinhalten.
Eine gewisse Ausnahme stellt die Fa. Pyrum dar, die eine sauerstofffreie (also eine reine thermische) Behandlung durchführt (also eine Thermolyse statt Pyrolyse). Aber auch hier müssen die gasförmigen Produkte vor der Nutzung in einem Blockheizkraftwerk sehr aufwändig gereinigt (gleich sehr teuer) werden. Einzelheiten zum Verfahren des Pieswerks der Stadtwerke Osnabrück (siehe auch die vorbildliche und sehr informative Homepage dazu) sind nicht bekannt. Beide genannte Firmen werden sich aber nicht in Belle ansiedeln.
BHKW = Blockheizkraftwerk bedeuten in diesem Fall vermutlich sehr große Gasmotoren. Bei 3 t Granulat/ h entstehen sehr große Gasmengen! Rentabel sind solche Anlagen jedoch nur, wenn auch die Abwärme genutzt werden kann. Für die Einspeisung in ein Nahwärmenetz kommen eigentlich Belle und Wöbbel schon wegen der hohen Investionskosten (durch die Stadt?) nicht in Frage, da diese Orte relativ klein und weit entfernt sind. Auch ein zusätzlicher Großheizkessel für hohe Lasten müsste ebenfalls installiert werden.
Was nun in diesem Zusammenhang mit „thermokatalytisch“ im Zusammenhang mit dem Kernprozess gemeint ist, bleibt wohl im Bereich der Spekulation. Gemeint wird wohl sein, dass die Abgase unter Sauerstoffzufuhr mit Hilfe eines Katalysators „nachverbrannt“ werden – was Stand der Technik ist.
Wieviele Reifen sollen verarbeitet werden?
Die Planung sieht eine Kapazität von 3 Tonnen Granulat pro Stunde vor. Dies entspricht einer jährlichen Reifenmenge von ca. 3 Mio. Pkw-Reifen.
Das macht also unter der Annahme, wenn man 6t (=Annahme) Ladung je Lkw rechnet, inklusive An-und Abtransport ca. 20 LKW-Fahrten pro Tag.
Sollen diese Reifen hier verarbeitet bzw. geschreddert werden, oder ist geplant, eventuell sogar aus dem Ausland, fertiges Granulat anliefern zu lassen?
Das Granulat soll vor Ort erzeugt werden. Die Altreifen werden jedoch möglicherweise aus dem gesamten Bundesgebiet und evtl. sogar aus dem Gebiet der EU bezogen.
Hier stellt sich die Frage nach dem wirtschaftlichen und ökologisch vertretbaren Transport, da sinnvollerweise Reifenschredderanlagen an Häfen, Bahnstrecken und gut erreichbar in Ballungsgebieten liegen. Zu beachten ist, dass das Reifenhandling an sich bereits mit Stäuben einhergeht. Beim Schreddern entsteht zusätzlich Wärme, und es werden Weichmacher freigesetzt (Geruchsbelästigung). Mir ist keine Anlage bekannt, die in einem geschlossenen Systemen arbeitet und die Produkte in Gebäuden lagert. Betriebe hier anzusiedeln, die so viele und hochproblematische Emissionen ausstoßen, beeinträchtigen die benachbarten Firmen und Ortsteile massiv.
Was ist wahr an dem Gerücht, dass die Stadt hier den Bebauungsplan durch die Zulässigkeit einer Pyrolyseanlage erweitert, um durch zusätzliche Emissionskontingente den Status eines Industriegebietes zu erhalten?
Mit Emissionskontingenten hat das nichts zu tun. Betriebe die im ersten Bauabschnitt ansiedeln, müssen den Förderbedingungen entsprechen, dabei ist es gleich, ob ein Recyclingbetrieb ansiedelt oder ein Hersteller von Baustoffen.
Das ist hinreichend beantwortet.
Ist die Ansiedlung von Amazon so überhaupt genehmigungsfähig und/oder droht ohne die Errichtung einer Pyrolyseanlage die Rückzahlung von Fördergeldern von Land, Bund und EU?
Wie Ihnen bekannt ist, wurde der erste Bauabschnitt mit öffentlichen Mitteln gefördert. Der zweite Bauabschnitt wird nicht gefördert, daher gibt es keine Einschränkungen durch Förderbedingungen.
Da ist es ja gut, noch einmal festzustellen, dass die Strategie der Stadt sich hier um 180 Grad gedreht hat, Man will Kunden generieren, indem man weitestgehend keine Einschränkungen vorgeben will. Man ist also nicht mehr an Förderrichtlinien von Land, Bund oder EU gebunden. Die Risiken tragen die Stadt und die Allgemeinheit, Auflagen zum Schutz von Anwohnern und Umwelt sollen weitestmöglich minimiert und umgangen werden.
»Wesentliche Fragen bleiben offen«
Diana Ammer und Uwe Hartmann beklagen in ihrem Resümee »Verharmlosungen und fehlende Antworten«. Sie meinen: »Eine Pyrolyseanlage ist niemals emissionsfrei.«
Grundsätzlich sei hier das Problem, dass »wieder eine Angebotsbebauungsplanung stattfinden und eben nicht ein vorhabenbezogener Bebauungsplan erstellt werden soll«.
Dieses Vorgehen führe dazu, dass die Stadt nur wenige und keine hinreichenden Auflagen formuliert. Bürgerinteressen und Umweltschutz würden im schlimmsten Fall komplett hinten runterfallen, »zumal bekannt ist, dass es aktuell keine Pyrolysetechnik gibt, die als umweltfreundlich benannt werden kann« (Quelle: Bundesumweltamt und Stellungnahme des Nabu). Ammer und Hartmann: »Es ist eine Zumutung, in der Stellungnahme zu lesen, dass die Pyrolyseanlage ‚emissionsfrei’ ist.«
Auch die finanziellen Risiken und Problemstellungen für den städtischen Haushalt sind für die Fragesteller ohne ein sinnvolles Gesamtkonzept mit BHKW, Pyrolyseanlage, Fernwärmeleitungen etc. erheblich. Die Machbarkeit und Rentabilität dieser Form von Abfallbeseitigung sei fraglich (vgl. Nutzungskonzept Pieswerke Osnabrück).
Wesentliche Fragen bleiben laut Ammer und Hartmann in Krügers Antwort offen. Sie meinen: »Die politisch Verantwortlichen, die demokratisch gewählten Repräsentanten der Bürger, werden mit diesem Antwortschreiben des Bügermeisters Heinz-Dieter Krüger immer noch nicht umfassend informiert, denn weder der Name der Firma noch Einzelheiten zum Vorhaben werden selbst auf konkretes Nachfragen benannt.«
Es fehle ein Gesamtkonzept, das darstellen sollte, warum ausgerechnet an diesem Standort unter welchen Voraussetzungen und Kooperationspartnern eine Pyrolyseanlage sinnvoll sein soll, wo weder ein Hafen, noch ein Bahnanschluss, noch Fernwärmeleitungen vorhanden sind.
Es fehle auch jede Aussage dazu, warum ein solch risikobehaftetetes und vermutlich nicht ausgereiftes Verfahren in unserer Kommune angesiedelt werden soll?
Ammer und Hartmann betonen: »Das Desinteresse der Wirtschaftsförderung und der Rathausspitze an frühzeitiger Transparenz und die Verweigerung klarer Aussagen lässt Zweifel an der Seriosität der Firma entstehen, die diese Pyrolyseanlage im Beller Feld plant. Der Bürgermeister hat damit den Debattenraum für Spekulationen eröffnet! Das ist Wirtschaftsförderung nach Gutsherrenart.«
Laut dem Fachblatt Reifenpresse planen die Stadtwerke Osnabrück auf einer Fläche von rund 30.000 Quadratmetern am Hafen nahe dem Piesberg – daher der Name »Pieswerk« – ein 15.000 Quadratmeter umfassendes sogenanntes Altreifen-Recyclingwerkwerk. Gemeint damit sei damit wie im »Beller Feld« eine Pyrolyseanlage zu Rückgewinnung „grünen“ Industrierußes aus Altreifen. Laut Reifenpresse scheint ein anderes in diese Richtung gehendes Projekt der Osnabrücker Green Carbon Black GmbH zwischenzeitlich gescheitert zu sein. In dem Bericht heißt es: »Handelsregisterbekanntmachungen zufolge ist letzteres Unternehmen schon Anfang 2019 nach einem mangels Masse abgelehnten Insolvenzverfahrens ‚wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gelöscht’ worden.«
Anmerkungen
↑1 | von der ortsansässigen Impellis GmbH |
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