Kesseltreiben

Was wir hier im Fall Chem­nitz und Maa­ßen erlebt haben, hat­te über wei­te Stre­cken mit Jour­na­lis­mus nichts mehr zu tun. Das trug Merk­ma­le eines klas­si­schen Shit­s­torms, wie wir ihn aus sozia­len Netz­wer­ken ken­nen. Das war viel­fach kopf­los, gedan­ken­los, maß­los.[1]Es gibt, BTW, hau­fen­wei­se Vide­os, die das zwei­fels­frei bele­gen.

Und das ist auch nach­voll­zieh­bar, wenn man sieht, wie vie­le Medi­en heut­zu­ta­ge ihre Auf­ga­be offen­bar haupt­säch­lich dar­in sehen, das Empö­rungs­ka­rus­sell in Schwung zu hal­ten. Sie ver­ste­hen sich als ver­län­ger­ter Arm die­ser aso­zia­len Hetz­wer­ke, tur­nen deren The­men nach, machen den Mob zum Maß­stab für Rele­vanz, schie­len auf Klicks und Likes und Visits aus der iden­ti­täts­stif­ten­den Bezugs­grup­pe, spie­len all­zu gern das Äff­chen auf Zucker­bergs Schulter.

Da geht es nicht mehr um so etwas Alt­mo­di­sches wie Wahr­heit bzw. die größt­mög­li­che Annä­he­rung dar­an – wie sie mit jour­na­lis­ti­schen Mit­teln eben her­zu­stel­len ist. Es geht um die Deu­tungs­ho­heit, um maxi­ma­le Auf­merk­sam­keit im Papageienbaum.

Längst haben in etli­chen Redak­tio­nen Akti­vis­ten und Eife­rer das Ruder über­nom­men, die sich mit einem bestimm­ten Typus Poli­ti­ker mehr oder weni­ger geschickt die Bäl­le zuspie­len, um bei­den das zu sichern, was ihnen am wich­tigs­ten ist: Aufmerksamkeit.

#Metoo, #Die­sel, #Özil – wir ken­nen das Mus­ter schon all­zu gut.

Dass die »Stim­me« dann doch nur jemand von der letz­ten Bank ist, der hofft, es (end­lich!) mal in die Haupt­nach­rich­ten zu schaf­fen – scheiß’ drauf. Oder ein SED-sozia­li­sier­ter Kader, der aus nahe­lie­gen­den Grün­den sowie­so schon immer den Ver­fas­sungs­schutz abschaf­fen woll­te? Wurscht, solan­ge er die Geschich­te stützt.

Zu vie­le Mei­nungs­ma­cher hal­ten sich zum Volks­tri­bun beru­fen, statt sich zu besin­nen auf die Wur­zeln des Berufs: Neu­gier auf das, was man nicht kennt. Begeg­nun­gen mit frem­den Leben auf­zu­schrei­ben bringt zudem Mehr­wert für das eige­ne und das der Leser. Micha­el Jürgs

Skan­da­li­sie­ren, alar­mie­ren, mora­li­sie­ren – so lau­tet das Gebot der Stun­de. Infor­mie­ren? Eher nach­ran­gig. Und ja, ich weiß, dass es pro­mi­nen­te Mei­nungs­ma­cher gibt, die genau das rich­tig fin­den. Ich nicht.

Und wer sich da als Trei­ber bei der Hetz­jagd auf – zum Bei­spiel – Maa­ßen nicht betei­li­gen mag, weil ihm das alles viel zu dünn erscheint und als Kam­pa­gne vor­kommt, gerät schnell unter die Räder. Da ist man für Leu­te mit dem schlich­tes­ten aller denk­ba­ren Welt­bil­der ruck­zuck ver­kapp­ter Sym­pa­thi­sant von Nazis und Ras­sis­ten. So wie es Maa­ßen selbst übri­gens auch unter­stellt wird. Manch­mal nicht nur zwi­schen den Zeilen.

Schnapp­at­mung aller­or­ten. Zir­kel­schlüs­se en mas­se. Intel­lek­tu­el­ler Kurz­schluss auf gan­zer Linie. Jede Men­ge Schaum vor den Mäu­lern. Shit­s­torm à la Face­book halt. Gru­se­lig. Und kontraproduktiv.

War­um da wirk­lich man­cher zur Jagd auf den Ver­fas­sungs­schutz­prä­si­den­ten bläst – die ers­te aller Fra­gen wäre doch: Cui pro­dest? -, inter­es­siert kaum noch. Moti­ve? Egal! Man recher­chiert sich doch nicht die eige­ne Geschich­te, die gei­le Zei­le tot. Da kann man schon mal das eine oder ande­re aus dem Zusam­men­hang rei­ßen, um es zu instrumentalisieren.

Sape­re aude!? Ach, wozu denn…

Nach dem Mot­to »Wer hat noch nicht, wer will noch mal?« darf da jeder und jede bar jeder Recher­che und ohne alle veri­fi­zier­ten Fak­ten – es gibt ja Goog­le – vom Lap­top aus behaup­ten und for­dern und ver­dam­men, bis die Schwar­te kracht. Ohne sich dafür jemals wei­ter vom Bild­schirm ent­fernt zu haben als bis zur Kaffeemaschine.

Mei­nung ist gera­de bil­lig und gibt’s im Bauch­la­den an jeder Ecke. Jour­na­lis­mus 2018.

Da braucht es schon Mumm, in einer sol­chen Atmo­sphä­re »Moment mal!« zu rufen. So wie Peter Pauls, Chef­au­tor des »Köl­ner Stadt­an­zei­gers«, es hier im Deutsch­land­funk macht.[2]Mei­nen klei­nen Ein­wurf hat­te ich übri­gens bereits zwei Tage zuvor geschrie­ben, nur noch nicht ver­öf­fent­licht.

Der Kol­le­ge wird gute Ner­ven und ein dickes Fell brauchen.

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1 Es gibt, BTW, hau­fen­wei­se Vide­os, die das zwei­fels­frei belegen.
2 Mei­nen klei­nen Ein­wurf hat­te ich übri­gens bereits zwei Tage zuvor geschrie­ben, nur noch nicht veröffentlicht.

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